von Nino Ketschagmadse
Etwa zwei Dutzend Baumstämme, dicke und dünne, stehen auf dem schwarz angemalten Boden, jeder rund einen Meter hoch. Ansonsten ist die halbrunde Bühne der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin karg und schummerig. Sie vermittelt von Beginn an den Eindruck eines Raums, in dem man sich ungern freiwillig aufhält.
Vorne rechts steht noch ein brauner Ledersessel. Ein älterer Mann nimmt darauf Platz und macht sich bereit für ein langes
Gespräch. Es soll um seine Vergangenheit gehen, um den »wertvollen Teil« in seinem Leben. Ruhig und sachlich erzählt er einem imaginären Interviewer von seiner Arbeit als Bakteriologe in einem Forschungsinstitut, von seinen Kollegen und seinem Alltag. Soweit nichts Außergewöhnliches. Der Mann könnte ein x-beliebiger pensionierter Forscher von einer Universität oder der chemischen Industrie sein. Doch der Standort seines Forschungsinstituts war Auschwitz, und seine »Versuchskaninchen« waren Menschen. Im Block 10 des Vernichtungslagers arbeitete der Erzähler Schulter an Schulter mit Dr. Mengele, sterilisierte Frauen, schickte Kinder »durch den Kamin«, beobachtete durch ein Guckloch, wer in der Gaskammer als erster oder letzter ums Leben kam. »Ob es moralisch oder unmoralisch war, es ist Dienst... Belastet hat mich nicht, daß sie vergast wurden ..., das kann man wegstecken.«
Der Mensch, in dessen Haut der Schauspieler Josef Bierbichler in seiner Ein-Personen-Performance Holzschlachten. Ein Stück Arbeit schlüpft, ist keine erfundene Figur. Hans Münch (1911-2001) arbeitete zwei Jahre lang als Arzt am sogenanntenHygiene-Institut im KZ Auschwitz. 1947 wurde er als einziger von 40 Angeklagten im Krakauer Auschwitz-Prozeß freigesprochen. Bis Ende der 80er Jahre praktizierte der ehemalige SS-Offizier als Landarzt im Allgäu, trat in einigen NS-Prozessen als Zeuge der Anklage oder gar Sachverständiger auf, erzählte in diversen Dokumentationen als vermeintlich Nichtbelasteter die Geschichte der Vernichtungsmaschinerie. Erst der Journalist Bruno Schirra, der Münch Ende der 90er Jahre interviewte und dessen ungeschönte Darstellung seiner wirklichen Rolle im Nachrichtenma-gazin Der Spiegel veröffentlichte, beendete den Mythos vom »guten Menschen von Auschwitz«. Münch kam wegen seiner Verbrechen vor Gericht, wurde jedoch nicht verurteilt, weil der Prozeß wegen »Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten« eingestellt werden mußte.
Bierbichler rezitiert Passagen aus Schirras Interviews mit Münch. Dabei wirkt weniger die bloße Tat so abscheulich, sondern vor allem die von keinerlei Gewissensregung beeinflußte Gemütsruhe, mit der der SS-Arzt fünfzig Jahre später von seinen Verbrechen erzählt. Münchs fehlendes schlechtes Gewissen wird im zweiten Teil der Aufführung mit lyrischen Monologen des Dichters Florian List (1944-1990) kontrastiert, in denen ein von Schuldgefühlen gepeinigter Mensch mit seinen nächtlichen Dämonen ringt. In gestreiften Pyjama-Hosen wandert Bierbichler durch Holzstämme, wählt einen aus, hackt mit einem spitzen Metallteil darauf rum und schleift die Holzstücke über die Bühne. Seine Axthiebe sind stark und professionell. Der Haufen von zerhacktem Holz wird im Laufe des Abends zusehends größer. Im Rhythmus des Holzhackens erzählt der Schauspieler von schlaflosen Nächten und von Alpträumen, die ihn aufsuchen: schwefelgelber Himmel, ein Schatten, der an seinem Bett steht – der »schwarze Engel«, der nicht zu sehen, aber immer zu spüren ist. Schließlich liegt Bierbichler, seiner Bekleidung entledigt, splitternackt auf dem Holzhaufen. Ein künstlicher Nebel strömt in den Raum, der Mensch in der bodenlosen Landschaft von toten Bäumen sieht ziemlich verloren aus.
Josef Bierbichler ist einer der renommiertesten deutschsprachigen Darsteller. Dreimal war er »Schauspieler des Jahres«, 1997 erhielt er für seine Verkörperung des Kasimir in Christoph Marthalers Aufführung von Horvaths Kasimir und Karoline den »Gertrud-Eysold-Ring«, eine der wichtigsten Bühnenauszeichnungen. In Holzschlachten ist Bierbichler nicht nur Darsteller, sondern auch Regisseur und Autor. Die Texte, heißt es, hat er zwar auswendig gelernt, vor der Premiere aber nicht geprobt. »Die ursprüngliche Idee war, daß ich schon immer mal Holz hacken wollte, weil ich das wirklich kann. (...) Mich interessiert, was mit einem Text bei heftiger Ar-beit geschieht, die mich körperlich völlig in Anspruch nimmt. Dann kann man den Text mit schauspielerischen Mitteln nicht mehr manipulieren. Es geht ja immer darum, die falschen Töne auf der Bühne zu verhindern.« Dank eben dieser Authentizität geht die Performance tatsächlich unter die Haut.
Bierbichler will mit dem Stück nicht »x-mal an Auschwitz erinnern«, sondern vor allem zeigen, daß das Phänomen der folgenlosen Grausamkeit bis in die Gegenwart fortbesteht: »Nur das Personal ändert sich. Und es ist nicht mehr eine bestimmte Nation, die die Durchführung übernehmen wird. Das werden in Zukunft Eingreiftruppen bei sogenannten Internationalen Friedenseinsätzen tun. Sie üben schon.« Eine bestimmte Art der Sprache wolle er mit seinem Stück in Erinnerung rufen, damit man sie erkennt, wenn sie wieder verwendet wird. Welche Assoziationen das Holzhacken beim Publikum auslöst, sei dabei den Zuschauern selbst überlassen: »Wenn dabei jemand nur das Holz sieht, dann sieht er nur das Holz.« Auf der Bühne lautet Bierbichlers doppelbödiger Abschiedsgruß freilich, die frisch gehackten Scheite könnten für den heimischen Ofen nach der Vorstellung an der Kasse erworben werden.
»Holzschlachten. Ein Stück Arbeit««
Schaubühne am Lehniner Platz
Nächste Aufführung am 3. Juli, 20 Uhr
www.schaubuehne.de