von Gideon Böss
Wie leicht Vergangenheitsbewältigung sein kann, zeigt Artikel 6 der DDR-Verfassung: »Die Deutsche Demokratische Republik hat getreu der Interessen des Volkes und der internationalen Verpflichtungen auf ihrem Gebiet den deutschen Militarismus und Faschismus ausgerottet.« Soweit der Verfassungstext. Wie aber sah es in der Realtität aus? Die Ausstellung »Das hat’s bei uns nicht gegeben. Antisemitismus in der DDR«, setzt sich mit dieser Frage auseinander. Am vergangenen Donnerstag fand dazu im Rathaus Köpenick eine Podiumsdiskussion statt.
Passanten vor dem Rathaus lehnen mehrheitlich den Antisemitismusvorwurf ab. »Wie hätte es denn Antisemitismus geben sollen, hier gab es doch gar keine Ju-
den«, sagt eine ältere Frau. Ein anderer, der zuerst einmal die »Dämonisierung des So-
zialismus« kritisiert, schließt sich an. Die Haltung gegenüber Israel sei zwar kritisch gewesen, »aber nur wegen der Kriege gegen die Araber. Mit denen waren die Russen ja befreundet. Israel gehörte zum Westen.« Danach bekennt ein Ehepaar, über diese Frage noch nie nachgedacht zu haben, »also kann der Antisemitismus zumindest nicht stark gewesen sein, sonst hätten wir das mitbekommen.« Nur einer der befragten Köpenicker empfindet die Hetze gegen Israel »schon damals als einen Angriff auf die Juden. Vielleicht nicht in erster Linie auf die hier im Osten, aber die in den USA, die wurden schon als Feinde betrachtet.«
Interessant gestaltet sich dann die Diskussion im Rathaus, an der auch Hermann Simon vom Centrum Judaicum teilnimmt. Aufschlussreicher und authentischer hätten die Emotionen, Schicksale und Erinnerungen, die mit diesem Teil der DDR-Geschichte verbunden sind, kaum präsen- tiert werden können. Unterschiedlichste Biografien und Meinungen sind in dem überfüllten Raum vertreten. Juden aus der DDR, die Antisemitismus in der Gesellschaft gespürt hatten, die einen mehr, die anderen weniger. Philosemitische Lehrerinnen, die zwar »viel Respekt vor den Juden« haben, aber zum eigentlichen Thema trotzdem nichts beitragen. Kommunalpolitiker, die den Antisemitismusvorwurf zurückweisen. Und Köpenicker, die den Ausstellungsmachern absprechen, sich über die DDR eine Meinung bilden zu können, weil sie »das alles gar nicht erlebt haben«.
Viele Besucher haben eine kritische Meinung zur Ausstellung, und für manchen scheint die Verteidigung der DDR zugleich die des eigenen Lebenslaufes zu sein. Einem gelingt es sogar, gleichzeitig den Antisemitismus in der DDR zu bestreiten und den »imperialistischen Staat Israel« zu kritisieren. »Das ist doch der DDR-Antisemitismus, um den sich hier alles dreht!«, ruft jemand dazwischen.
Anetta Kahane, die im Publikum sitzt, äußert ihre Überzeugung, dass die Reaktion auf Faschismus nicht Antifaschismus sondern Demokratie sein müsse. »Nur in einer Demokratie kann man als Jude frei leben«, sagt die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung.
Auch nach Ende der Veranstaltung gehen die Debatten zum Teil lautstark weiter. »Wenn es überhaupt Antisemitismus gab, dann nur, weil der aus der BRD herüberstrahlte. Da blieben doch die alten Nazikader an der Macht. Unsere Jugend kam damit über West-Radio in Kontakt«, sagt eine Frau. Mit der knappen Feststellung »gab’s nicht, wurde bestraft!«, bestreitet ein emotional aufgewühlter »Köpe-
nicker mit DDR-Biografie« den »Sinn dieser tendenziösen Plakatausstellung«. Andere erinnern sich aber doch daran, antisemitische Zwischentöne registriert zu ha-
ben. Einer, der Verwandte in der DDR hatte, berichtet über die Verwunderung, als Erich Honecker sich Ende der 1980er-Jahre um die Jüdische Gemeinde bemühte. »Das gab es davor nicht. Meiner Tante war sofort klar, dass diese Freundschaft aus reinem Opportunismus entstand.«
Die meisten Besucher zeigen sich aber doch verblüfft über die Fakten, die in der Ausstellung der Amadeu-Antonio-Stiftung zusammengetragen wurden. Sei es nun die massive Förderung des palästinensischen Terrorismus oder die Zweckentfremdung jüdischer Grabsteine. »Ein wichtiger Grund dafür dürfte die Selbstinszenierung der DDR als antifaschistischer Staat sein«, meint ein Besucher, »dahinter vermutet man erst mal kein antisemitisches System.« Hermann Simon jedenfalls lehnt es ab, von der DDR als einem antisemitischen Staat zu sprechen, er habe dort immer bewusst als Jude leben können, und es hätte ein Interesse am Fortbestand der Gemeinde gegeben.
Die Kritiker der Ausstellung erinnern immer wieder an antisemitische Vorfälle in der BRD. »Vor einiger Zeit habe ich einen Naziumzug gesehen, die laufen unter Polizeischutz durch die Straßen, so etwas hätte es in der DDR nie gegeben!«, empört sich ein Potsdamer.
Insgesamt fällt auf, dass sich vor allen ehemalige DDR-Bürger mit der Dokumentation, die jetzt in Leipzig gezeigt wird, schwer tun. Hermann Simon bringt den Verlauf des Abends auf den Punkt, als er anmerkt, dass »scheinbar noch ein großer Diskussionsbedarf besteht«.