von Rabbiner Jaron Engelmayer
Eine Milliarde Euro. Die vielleicht größte Summe, die je geschenkt wurde. Die ließ die L’Oreal-Erbin Liliane Bettencourt, 86, Berichten zufolge kürzlich dem ihr offenbar sehr nahestehenden Fotografen François-Marie Banier zukommen. In Zeiten der Finanzkrise würden sich vermutlich viele über ein solches Geschenk freuen. Unter anderen auch die vielen jüdischen Wohltätigkeitsorganisationen und Fonds, die es besonders schwer haben, ihre Tätigkeit aufrechtzuerhalten. Vielen ist die finanzielle Basis durch Madoffs Betrug oder durch andere Investitionen, die sich in kurzer Zeit aufgelöst haben, weggebrochen. Andere können aufgrund der allgemeinen schwierigen Situation nicht mehr genug Spendengelder verbuchen. Die von ihnen geförderten und unterstützten Institutionen stehen vor einer schweren Existenzkrise. Solidarität ist das Gebot der Stunde!
Den ersten Spendenaufruf in der Geschichte des jüdischen Volkes finden wir wohl in unserem Wochenabschnitt. Er kommt von niemand Geringerem als G’tt selbst: »Und der Ewige sprach zu Mosche: ›Sprich zu den Kindern Jisraels, und sie sollen Mir eine Spende bringen!‹« (2. Buch Moses 25, 1-2) Aufgrund dieser Eröffnung erhielt der Wochenabschnitt sogar seinen Namen »Teruma«, zu Deutsch: »Spende«. Gegeben werden sollten Edelmetalle und -steine, Felle, Öle, Gewürze und vieles mehr. Ziel der Aktion: »Und errichtet Mir ein Heiligtum, und Ich werde mitten unter ihnen wohnen« (25,8).
Der ihm zugedachten Aufgabe kam das Volk im Übermaß nach, wie später berichtet wird: »Und sie sprachen zu Mosche: ›Das Volk bringt zu viel, mehr als zur Anfertigung der Arbeiten erforderlich ist!‹ ... So wehrte man dem Volke, weiter zu bringen« (36, 5-6). Diese Probleme wünschen wir allen Spendensammlern!
Eine ähnliche Situation mit ähnlichem Ergebnis treffen wir wieder an, als König David fast 500 Jahre später einen Spendenaufruf zur Errichtung des festen Heiligtums in Jerusalem an das Volk Jisrael richtet (Chronik 1, 29, 1-9). Gleich darauf hob er ein großes Loblied auf G’tt an, welches wir jeden Morgen in die Psukej deSimra, die Lobeshymnen unseres Morgengebets, integrieren: »Und David pries den Ewigen vor den Augen der ganzen Versammlung und sprach: ›Gepriesen seist Du, Ewiger, G’tt Jisraels, unseres Vaters, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Dein, Ewiger, ist die Größe und die Stärke, und der Ruhm und der Sieg und die Majestät, ja alles im Himmel und auf Erden ... Und der Reichtum und die Ehre kommen von Dir ... Denn von Dir ist alles, und aus Deiner Hand haben wir Dir gegeben!‹« (29, 10-14)
Mit den zitierten Worten konstatierte König David, dass G’tt alles Vermögen verwaltet und lenkt, selbst jenes, das sich fest in Menschenhand zu befinden scheint. Wie sehr sich doch diese Erkenntnis an mancher Realität offen widerspiegelt! Doch gleichzeitig wirft sie einige Fragen auf: Wenn alles Vermögen von G’tt kommt, gelenkt und verwaltet wird, was können Menschen Ihm da noch geben und spenden? Welchen Sinn macht eine solche Spende, da die Güter sowieso schon G’tt gehören? Und wozu brauchte G’tt die Spenden des Volkes, um seine Heiligtümer bauen zu lassen, wo er doch die Mittel dazu auch auf ganz andere Art hätte aufbringen können?
Rabbi Elijahu Dessler beschreibt in seinem Werk Michtaw MeElijahu (Brief von Elijahu) das Wesen des Gebens. Er nennt es eine g’ttliche Gabe, da es zu den Eigenschaften des Schöpfers gehört, allen Geschöpfen Gutes zu erweisen und sich ihrer zu erbarmen (Psalmen 145,9). Weiter erklärt er, dass das Geben die Quelle wahrer Freude ist. Denn der Mensch liebt die Frucht seiner Taten, da ihm das Gefühl innewohnt, dass ein Teil seiner selbst sich in dieser befindet. Er identifiziert sich mit dem Gegenstand seines Gebens, da er sich selbst darin findet, wodurch eine innere Beziehung zu ihm existiert.
Darüber hinaus kommt es auf die Art des Gebens an. Bei der Spendenaktion König Davids lesen wir folgende Beschreibung: »Und das ganze Volk freute sich über seine Freigebigkeit, denn mit ganzem Herzen spendeten sie für G’tt« (Chronik 1, 29,9). Ein ebensolches Verhalten können wir der Spendenaktion unserer Wochenabschnitte entnehmen, durch das Übermaß, in dem das Volk dem Aufruf nachkam.
Damit können wir die obigen Fragen auf zwei Ebenen beantworten: G’tt braucht tatsächlich keine Spende, er ist nicht darauf angewiesen. Jedoch nur mit dem Aufruf, für die Errichtung des Heiligtums zu spenden, konnte erreicht werden, dass jeder Einzelne im jüdischen Volk sich mit ihm identifizieren konnte, da er durch seine Gabe einen Teil seiner selbst darin wiederfand. Nur auf diesem Wege konnte das erhabene Ziel erreicht werden, welches von Anfang an angestrebt wurde: »Und errichtet Mir ein Heiligtum, und Ich werde mitten unter ihnen wohnen« (2. Buch Moses 25,8). G’tt will nicht nur im Heiligtum, sondern mitten im Volk wohnen!
Auf einer zweiten Ebene betrachtet kam es letztendlich nicht darauf an, was man gab, sondern vielmehr, wie man gab! Ein Mensch kann G’tt nichts Materielles geben, da alles von Ihm kommt. Aber er ist imstande, etwas anderes von sich zu geben: sein Herz. Mit Aufrichtigkeit, Freude und von ganzem Herzen zu spenden gibt der Gabe eine völlig andere, ja eine g’ttliche Dimension! Das wollte G’tt vom jüdischen Volk, als Er die Anweisung gab: »Sie sollen Mir eine Spende bringen«.
Auch wenn Liliane Bettencourts Gabe an den Fotografen Banier möglicherweise nicht ganz selbstlos war, enthalten Madames Worte doch eine Wahrheit: »Wenn man im Leben viel bekommen hat, muss man auch abgeben. Einfach geben, ohne jede Berechnung und ohne an Gewinn zu denken.«
Der Autor ist Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln.