von Frank König
Sie trägt den Namen »Lev Tov«, gutes Herz. Diese dem Talmud (Pirke Awot) entlehnte Bezeichnung fanden die Gründer der Synagoge passend. »Denn es soll ein Ort der Tora, der Gemeinschaft und des Gottesdienstes sein, für alle, die guten Herzens sind, egal wer sie sind oder woher sie kommen«, erläutert Siegfried Jarosch.
Das neue Bethaus unweit der Synagoge Pestalozzistraße öffnete ohne lange Planung und Vorbereitung zu den Hohen Feiertagen seine Pforten. An Rosch Ha-schana fanden die ersten Gottesdienste statt. Einige Dutzend Gläubige kamen in die Räume im Erdgeschoss eines Charlottenburger Wohnhauses, die mit Klappstühlen, einem selbst gezimmerten Pult und einem improvisierten Aron Hakodesch (Toraschrank) von Ikea und mit einem Ner Tamid (Ewiges Licht) aus dem Bauhaus ausgestattet sind. »Es ist ein Wunder, dass wir alles so schnell zusammenbekommen ha-
ben«, meint Jarosch.
Er war bislang Gabbai der Synagoge Pestalozzistraße. Jetzt hat er, gemeinsam mit anderen Betern und dem Rabbiner Chaim Rozwaski, der bis zu seiner Kündigung durch den neuen Gemeindevorstand in der Pestalozzistraße amtierte, die Initiative für die neue Betstube ergriffen. Eine Entscheidung derer, die sich von der Ge-
meinde im Stich gelassen fühlen, wie sie sagen. »Viele Beter spürten in der Pes-
talozzistraße in den vergangenen Wochen zu viel Politik, zu viel Unruhe und unausgesprochenes Unbehagen sowie ungelöste Konflikte«, sagt Jarosch. Da war es folgerichtig, diesen Schritt zu tun. Ohne – und das betonen sie ausdrücklich – sich ge-
gen die dort verbliebenen Beter oder die Gemeinde stellen zu wollen. »Wir wollen hier einfach nur in Ruhe beten können«, macht Rozwaski deutlich. »Das ist eine gute Sache«, pflichtet ihm eine ältere Beterin bei. Sie gehe vor allem wegen Rozwas-
ki und wegen des »spürbar herzlichen Zu-
sammenhalts« in die neue Betstube.
Dort soll auch nach den Feiertagen der Betrieb weitergehen. Erst einmal mit Gottesdiensten am Freitagabend und am Schabbatmorgen sowie einem Wochentagsgottesdienst und einer Schiur am Dienstag (Infos: www.levtov.de). Im Parterre von »Lev Tov« ist Platz für rund 40 Beter. Eine kleine Treppe führt zum höher gelegenen Zwischenstockwerk mit etwa 30 weiteren Stühlen. Helle Vorhänge sorgen an der Galerie für die traditionelle Trennung von Betern und Beterinnen während des Gottesdienstes. Das Untergeschoss dient als Kidduschraum und Garderobe. Im Kellergeschoss befinden sich ein großes Zimmer für Vorräte und eine Kinderspielecke.
Tag für Tag kommen Kultus- und andere Einrichtungsgegenstände hinzu. Auch eine Torarolle wurde von einer Privatperson zur Verfügung gestellt. Sie erhielten Unterstützung von vielen Menschen, erläutert Jarosch. »Wir helfen uns hier alle gegenseitig. Das ist auch wichtig. Es ist unsere Synagoge, von uns und für uns.«
Ob die neue Betstube nun konservativ oder eher orthodox ausgerichtet ist? Die Initiatoren wollen sich da nicht einordnen lassen. »Wir gehören zu keiner Gruppierung.« Wichtig ist ihnen hingegen noch einmal zu betonen, dass sich ihre Neugründung keineswegs gegen das Modell der Einheitsgemeinde wende. Es gehe nicht um Spaltung, vielmehr um ein zu-
sätzliches Angebot. Auf Hilfe und Un-
terstützung aus der Gemeindeverwaltung wollte sie jetzt und auch in Zukunft verzichten. Die Synagoge solle sich aus privaten Spenden und Beiträgen finanzieren. Man wolle hier schlicht und einfach wieder »dem Herzschlag der Tora« näherkommen, meint Rozwaski, und verweist auf den 119. Psalm: »Ich danke Dir mit redlichem Herzen, wenn ich lerne Deine gerechten Vorschriften. Deine Satzungen will ich halten.«