Giora Feidman

Herr der Harmonien

von Jonathan Scheiner

Giora Feidman gilt in Deutschland als der Klesmer-Musiker schlechthin. Diesen Ruf hat sich der Klarinettist, der am 23. März 1936 in Buenos Aires als Kind eingewanderter jüdischer Musiker aus Bessarabien geboren wurde, hart erarbeitet. Trotz seiner mittlerweile fast 70 Jahre spielt Feidman fast pausenlos. Er absolviert atemlose Tourneeprogramme und findet zwischendurch noch Zeit, ins Studio zu gehen, um Alben einzuspielen, die sich wie warme Semmeln verkaufen.
Aber Giora Feidman ist in Deutschland nicht nur erfolgreich, sondern beliebt, derart beliebt, daß das schon fast stutzig macht. Sein 70. Geburtstag am kommenden Sonntag, gleichzeitig sein 50. Bühnenjubiläum, wird bei einer Gala im Theaterhaus Stuttgart begangen wie ein Staatsakt. Mit der Virtuosität des unbestreitbar exzellenten Musikers allein läßt sich das nicht erklären. Feidmans Status als Jude spielt da mit. Hierzulande müht man sich, die »unbewältigte Vergangenheit« durch aktuellen Philosemitismus auszubügeln. Giora Feidman bietet dafür die perfekte Projektionsfläche. Er macht nicht nur gute Musik, sondern präsentiert sich auch als guter Mensch, gewissermaßen als Gut-Jud mit Klarinette. Nicht umsonst wurde ihm 2002 das Große Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen »für die Aussöhnung zwischen Juden und Christen«. Die Sympathie ist wechselseitig. Feidman, US-Staatsbürger mit Wohnsitz in Tel Aviv, überlegt derzeit, so sein Management, Bundesbürger zu werden.
Nie wird Feidman müde, zu betonen, daß er Brücken bauen will zwischen den Kulturen, Religionen, Gesinnungen, Mentalitäten und Befindlichkeiten. »Ich nehme die Klarinette in die Hand, um mit den Menschen eine Botschaft zu teilen. Ich komme auf die Bühne, um in Musik zu sprechen, um die Menschen an meiner inneren Stimme teilhaben zu lassen. Die Musik wird uns zusammenbringen durch die Botschaft der Musik. Und natürlich ist dies eine geistige Botschaft, geistige Nahrung, die wir brauchen und miteinander teilen müssen wie den Anblick einer Skulptur oder eines Gemäldes oder des Körpers im Ballett.«
Man täte Feidman Unrecht, würde man das als Phrasen abtun. Feidman meint es ernst. Das drückt sich auch in seiner Musik aus. Die Einfachheit der Botschaft korrespondiert mit einem musikalischen Tonfall, in dem keine Disharmonien vorkom- men. Ob Klesmer, Tango oder Klassik – immer spielt der Klarinettist schön und beseelt. Individualität, Sperrigkeit oder Disharmonie haben in der harmonischen Welt des Giora Feidman scheinbar keinen Platz. Das ist zwar schön anzuhören, auf Dauer aber auch ein bißchen langweilig.
Selbst seine härtesten Kritiker haben jedoch nie die musikalische Virtuosität Feidmans bezweifelt, der schon in jungen Jahren seinen Vater Leo bei Konzerten und Hochzeiten begleitete. Mit nur 18 Jahren wurde Giora Feidman in das Symphonie- und Opernorchester des renommierten Teatro Colón in Buenos Aires aufgenommen und zwei Jahre später als jüngster Klarinettist in das Israel Philharmonic Orchestra berufen, wo er 20 Jahre lang arbeitete.
Feidmans zweites musikalisches Leben begann Anfang der siebziger Jahre, als er die so gut wie vergessene Klesmermusik neu belebte, die bis dahin nur in Musikarchiven und jiddischen Altersheimen noch Asyl gefunden hatte. Der »King of Klezmer«, wie er in den USA genannt wird, eroberte die Welt mit seinem »Jewish Soul«. Die FAZ feierte sein einzigartiges »Klarinettenpianissimo«, Leonard Bernstein pries seine »Seelenmusik«.
Neben Klesmer hat Feidman auf seinen fast drei Dutzend Alben, von denen in Deutschland die meisten beim Dortmunder Pläne-Verlag erschienen sind, Tangos von Astor Piazzolla eingespielt, Klassik von Schubert und Mozart und immer wieder zeitgenössische Melodien von Ora Bat Chaim, zuletzt auf der CD Crossing Borders, die rechtzeitig zum Geburtstag erscheint. Feidman ist nicht nur der erste und fleißigste Interpret der israelischen Malerin, Dichterin und Komponistin, sondern auch so etwas wie ein Seelenverwandter. Schließlich ist er mit ihr verheiratet. Sogar bei der Feierstunde zum Ge- denken an die Opfer des Nationalsozialismus im Januar 2000 im Plenarsaal des Deutschen Bundestags spielte Feidman Musik von Ora Bat Chaim. Love hieß die Komposition. Schöner kann Versöhnung nicht klingen.
Und dann ist da noch Feidmans Film- und Theatermusik, die auch internationale Aufmerksamkeit erregt hat: Caroline Links Jenseits von Afrika, die Comedian Harmonists von Joseph Vilsmaier und vor allem Schindlers Liste von Stephen Spielberg, wo Feidman im Duett mit Itzhak Perlman spielt. Ähnlich erfolgreich waren seine Theaterprojekte, darunter die legendäre Ghetto-Inszenierung von Peter Zadek nach Joshua Sobol, in der auch Esther Ofarim auf der Theaterbühne stand.
Nicht nur das deutsche Publikum liebt Giora Feidman, auch die Kritiker tun es. 2003 hat er den Echo Klassik der Deutschen Phonoakademie erhalten. Und gerade hat die Jury des deutschen Schallplattenpreises ihn auf ihrer Bestenliste 2006 plaziert, in der Rubrik »Grenzgänge« für das Album Feidman & Eisenberg. Live at St. Severin. In der romanischen Kölner Basilika hat Feidman zusammen mit dem Kirchenorganisten Matthias Eisenberg ein Programm zwischen Bachs Jesus bleibet meine Freude, dem Kol Nidrei von Max Bruch und Shlomo Secundas Ohrwurm Donna Donna live eingespielt. Den Zuhörern hat das so gut gefallen, daß sie beseelt mitsangen.

In eigener Sache

Technische Probleme bei der Jüdischen Allgemeinen

Zurzeit können zahlreiche Fotos nicht angezeigt werden

 19.09.2024

Nahost

Hisbollah kündigt Vergeltung an

Zeitgleich explodieren im Libanon Hunderte Pager. Neun Menschen werden getötet

 17.09.2024

USA

Secret Service verhindert mutmaßliches Attentat auf Donald Trump

In der Nähe des Ex-Präsidenten fielen Schüsse. Die Polizei nahm einen Verdächtigen fest

 15.09.2024

Meinung

Wir Muslime dürfen nicht zum islamistischen Terror schweigen

Ein Kommentar von Eren Güvercin

von Eren Güvercin  15.09.2024

Islamismus

Syrer wegen Anschlagsplänen auf Bundeswehrsoldaten in U-Haft

Mit zwei Macheten möglichst viele Bundeswehrsoldaten während ihrer Mittagspause töten - das soll der Plan eines 27-Jährigen in Oberfranken gewesen sein. Doch vorher klicken die Handschellen

von Frederick Mersi  13.09.2024

Gazastreifen

Mehr als 550.000 Kinder haben erste Polio-Impfung bekommen

Die erste Runde der Impfkampagne scheint ein Erfolg gewesen zu sein

 12.09.2024

Bericht

Deutschland und die »Diskriminierungskrise«

Ihr Kollege Felix Klein fordert, die Diskriminierung von Israelis endlich ernsthaft zu bekämpfen

 11.09.2024

Münster

Oberverwaltungsgericht verhandelt über jüdisches Bethaus in Detmold

Hintergrund ist ein jahrelanger Streit um eine verfallende Synagoge aus dem 17. Jahrhundert

 11.09.2024

Berlin

Vorstellung des bundesweiten Berichts zu Diskriminierung

Neben Antidiskriminierungsbeauftragter Ataman auch Antisemitismusbeauftragter Klein anwesend

 10.09.2024