von Detlef David Kauschke
Ob beim Kölner Fastelovend, in der Mainzer Fassenacht oder beim Karneval in Düsseldorf – in den Hochburgen des rheinischen Karnevals ist jetzt der Höhepunkt der närrischen Zeit erreicht. Helau und Alaaf! »Unser Fastelovend himmlisch jeck« lautet das diesjährige Motto in Köln. »Himmlisch« findet Gemeinderabbiner Ya-
ron Engelmayer das närrische Treiben eher nicht, gleichwohl nimmt er es gelassen: »Wenn die Leute feiern wollen, sollen sie feiern. Ich möchte doch niemand die Karnevalslaune verderben.« Er ist erst seit einem halben Jahr in der Stadt, hat aber schon in seiner alten Gemeinde Aachen das närrische Treiben miterlebt. Außerdem kommt er aus Zürich. Und auch in der Schweiz wird gefeiert. »Einige meiner Familienmitglieder beteiligen sich dort sogar an den Faschingsumzügen«, erzählt der Rabbiner. Er selbst wird sich nicht be-
teiligen. Und das nicht nur wegen der heidnischen Traditionen und christlichen Einflüsse der Feiern.
Ihren Ursprung haben die Bräuche in einer christianisierten Form der heidnischen Winteraustreibung, wobei der Be-
zug zur Fastenzeit entstand. Denn in der Nacht zum Aschermittwoch beginnt im christlichen Kalender die Fastenzeit. Das Wort »Fastnacht« taucht zuerst im 13. Jahrhundert auf. Die Zeit vor dem Aschermittwoch – auch als Karneval, Fasching oder fünfte Jahreszeit bezeichnet – wird ausgelassen gefeiert.
»Doch in meinen Augen ist das hier kein religiöses Fest«, meint Rabbiner Engelmayer. »Deshalb sehe ich auch keine Gefahr, dass zum Beispiel unsere Kinder dabei in ihrer jüdischen Identität gestört werden könnten.«
Auch sein Düsseldorfer Amtskollege, Rabbiner Julian-Chaim Soussan, beobachtet das Treiben – trotz der halachischen Bedenken, die aus rabbinischer Sicht gegen den Karneval sprechen könnten – sehr gelassen. »Sollen die Leute doch ihren Spaß haben.« Und er verweist noch auf eine jüdische Weisheit: Wenn der Wein hereingeht, kommt die Wahrheit raus. »Und wenn man sich dann in den Armen liegt, ist das doch in Ordnung.« Problematisch werde es, so Rabbiner Soussan weiter, wenn es unter Alkohol dann judenfeindlich zugeht. In diesem Zusammenhang er-
zählt er, dass vor zwei Jahren führende Vertreter des Düsseldorfer Karnevals die Gemeinde besuchten, und sich deutlich gegen Rassismus und Antisemitismus positionieren. »Das kann man doch nur begrüßen.«
»Do bes de platt«, lautet das Motto der diesjährigen Saison in Düsseldorf, wo weit über 300 Karnevalssitzungen, Empfänge und Kostümbälle stattfinden. Der konservative Düsseldorfer Rabbiner Michail Ko-
gan ist nicht mit dabei. In der Gemeinde heißt es, er sei derzeit in Israel.
Düsseldorfs Chabad-Rabbiner Chaim Barkahn hat nicht vor, die Stadt in diesen Tagen zu verlassen. Und er hat auch schon eine ungefähre Ahnung von dem, was ihn erwartet: »Die Betrunkenen auf den Straßen stören mich ein bisschen. Ansonsten ist es eine gute Atmosphäre, alle sind nett und fröhlich.« Er und seine Familie nehmen an den Feiern nicht teil. »Doch ich hörte von einigen Mitgliedern der Gemeinde, dass sie bei einigen Festen mit dabei sind.« Barkahns drei Kinder kennen den Trubel. Aber sie sind nicht neidisch, wenn sie nicht, wie andere Kinder mit tollen Kostümen unterwegs sind und Partys feiern, meint der Rabbiner. »Denn sie wissen: Purim kommt. Und für uns ist es jetzt eine gute Gelegenheit, schon unsere Dekorationen und Kostüme günstig kaufen zu können. So nutzen wir diese Tage für Keduscha, Heiligkeit.«
Zeev Rubins ist Rabbiner in Rheinland-Pfalz, betreut dort vier Gemeinden, darunter auch die in Mainz. Er ist in Russland geboren und in Israel aufgewachsen. Rheinischer Karneval war ihm daher kaum vertraut. »Doch ich kann es gut verstehen, dass man Spaß haben will.« Andererseits sieht er alles auch aus seiner orthodoxen Perspektive: »Wir sollten dabei bleiben, auf unsere Art und Weise zu feiern. Die einen haben ihren Karneval, wir unser Purim.«
Aber es geht auch beides: Das beweist der Blick in die Geschichte, beispielsweise in die des Kölner Karnevals. Marcus Leifeld, Historiker der Roten Funken, des ältesten Traditionschores der Domstadt, sagt, dass jüdische Karnevalisten schon ab 1823 eine wichtige Rolle gespielt haben. »Sie waren in großer Zahl vertreten, zum Beispiel Angehörige der jüdischen Ban-kiersfamilie Oppenheim. Simon Oppenheim war schon 1824 ›Prinzessin Venezia‹, die zweitwichtigste Figur im damaligen Karneval.« Und sein Sohn Eduard wurde 1858 ›Held Karneval‹, das, was heute ›Prinz Karneval‹ heißt.
In den 1920er-Jahren wurde sogar in einem jüdischen Verein, dem von Max Salomon gegründeten Kleinen Karnevals Club (KKC), geschunkelt. Doch schon Ende der 1920er-Jahre nahmen auch in Köln die antisemitischen Töne deutlich zu. Ab 1935 wurden bei den Roten Funken und anderen Vereinen keine Juden mehr aufgenommen (vgl. S. 9). Doch die Tradition ging nicht in der Schoa unter, betont Matthias von der Bank, der Leiter des Kölner Karnevalsmuseums: »Einer der Mitbegründer der Kölner jüdischen Gemeinde war bei den Roten Funken aktiv. Auch heute gibt es in den verschiedenen Vereinen verschiedene jüdische Mitglieder.«
Rabbiner Menachem M. Schtroks lehnt das nicht ab, meint aber: »Wir als Juden haben nichts mit dem Karneval zu tun. Doch soll jeder tun, was er für richtig hält.« Etwas störend findet er die Begleiterscheinungen der tollen Tage: laute Musik, Müll auf den Straßen, betrunkene Menschen im Stadtbild. »Wir wohnen sehr zentral, da fühlen sich vor allem unsere Kinder manchmal nicht so wohl.« Auch ist er – mit Bart, Hut, schwarzem Anzug und Mantel als orthodoxer Rabbiner zu erkennen – schon das ein oder andere Mal auf seine »Verkleidung« angesprochen worden. »Ist die echt?«, wollte man von ihm wissen. Aber er nimmt das mit Humor. Schließlich ist Rabbiner Schtroks schon seit 14 Jahren für Chabad Lubawitsch in Köln. Einige Male hat er diese Tage dennoch ganz be-
wusst genutzt, um seine Familie in Großbritannien zu besuchen.
Walter Rothschild, Rabbiner der Liberalen Kölner Gemeinde, kann das nur zu gut verstehen: »Ich kenne einige Gemeindemitglieder, die regelmäßig die Stadt verlassen, um das nicht mitmachen zu müssen.« Auch er sei von dem Karneval hierzulande nicht wirklich begeistert. »Das ist doch im Vergleich zum Rest der Welt alles sehr deutsch. Für mich als Engländer ist Spontanität sehr wichtig. Hier ist das eher Närrischkeit nach Fahrplan.«
Die tollen Tage, die mit der Weiberfassnacht an diesem Donnerstag beginnen, finden am Rosenmontag ihren Höhepunkt. Alles feiert, kaum einer arbeitet. Auch die Verwaltung der Kölner Synagogen-Gemeinde und der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf bleiben geschlossen. Darauf folgt der sogenannte Veilchendienstag. Und am Aschermittwoch ist dann – getreu des alten Schlagers des Kölner Karnevalssängers Jupp Schmitz – »alles vorbei«. Zumindest für die Karnevalisten. Im jüdischen Kalender folgt in zwei Wochen, am 14. Adar, Purim. Dieses Fest fällt diesmal auf den 10. März. Purim sameach!