von Heide Sobotka
Es mag wie ein Widerspruch klingen: Einerseits versichert sich der Zentralrat der Juden in Deutschland seine Anerkennung durch die orthodoxen Oberrabbiner aus Israel. Andererseits beschwört er die Partnerschaft mit der Union progressiver Juden. Ein gedanklicher Spagat, den Charlotte Knobloch im zweiten Jahr ihrer Amtszeit als Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland offenbar gut hinbekommt. Ist es ihr Charisma, ihre Präsenz, ihr Auftreten, ihre Hartnäckigkeit, die ihr den Erfolg sichern? Bei der ersten Ratstagung in München bekam die 75-Jährige jedenfalls Rückhalt und Anerkennung.
Und in der bayerischen Hauptstadt hat sie starke Mitstreiter. Einer von ihnen besuchte überraschend die Ratsversammlung am vergangenen Sonntag: Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein. Unmissverständlich stellte er fest: Aufgeklärter Patriotismus der demokratischen Rechten »ja«, ein unmissverständliches »Nein« dem überzogenen Nationalismus. Damit positionierte er sich und präsentierte seine Partei als verlässlichen Partner der Juden. Es sei ein Unding, dass die rechtsextreme NPD von der Parteienfinanzierung profitiere. Ein Verbotsverfahren müsse nötigenfalls mit einer Verfassungsänderung eingeleitet werden. Danach soll für die Entscheidung der Karlsruher Richter eine einfache Mehrheit ausreichen.
Beckstein verurteilte High-Tech-Lieferungen an den Iran als Bedrohung der Existenz der Humanität. Er sieht die Gefahr, die das Internet als Medium des professionalisierten Terrorismus bietet und verwies auf die sogenannten Cybercops, die Bayern als erstes Bundesland auf die Jagd nach rechtsextremen, kinderpornografischen oder terroristischen Inhalten
schickt. Becksteins Anliegen ist das Fortbestehen jüdischen Lebens. »Nur so werden wir den Wurzeln unserer Geschichte gerecht.«
An der Seite von Charlotte Knobloch steht aber auch die deutsche Judenheit. Die Vertreter von mittlerweile fast 100 Mitgliedsgemeinden zollten der Zentralratspräsidentin Anerkennung für ihren Rechenschaftsbericht. »Die starke Frau aus München« hat mit Stichworten wie Integration, jüdische Identität, Antisemitismus, islamistischer Terror, Iran und Werteverlust die Aufgaben und Gefahren jüdischen Lebens beim Namen genannt. Sie hat auch Wege und Ziele aufgezeigt, die zur Stärkung jüdischen Lebens führen können. Sei es die erkämpfte Neuregelung der Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, sei es die Erhöhung der jährlichen finanziellen Unterstützung durch die Bundesegierung von drei auf fünf Millionen Euro jährlich. Sei es das immer stärker werdende und wirkende Band mit den liberalen Gemeinden in der Gestalt der Union progressiver Juden in Deutschland. Sei es die intensive Schulung von Gemeindefunktionären zum Beispiel wenn es darum geht, antisemitischen Anfeindungen argumentativ etwas dagegenzusetzen.
Der Zentralrat tut zudem viel dafür, sich positiv in der jüdischen wie auch in der nichtjüdischen Öffentlichkeit zu positionieren. Sein Kulturprogramm gibt russischsprachigen Künstlern Auftrittsmöglichkeiten und neue Berufsperspektiven. Den Besuchern und Gästen wird so eine reiche jüdische, von Juden getragene Kultur präsentiert. »Wer mehr Geld hat, kann auch mehr bewegen«, lautet das Fazit des Finanzdezernenten und Zentralratsvizepräsidenten Dieter Graumann.
Andererseits ist Geld, zumal fehlendes Geld auch immer wieder Auslöser für innerjüdische Streitigkeiten. »Der Dachstuhl brennt«, warnte Rabbiner Henry G. Brandt, Sprecher der Allgemeinen Rabbinerkonferenz in seinem Grußwort. Rabbiner Yitshak Ehrenberg von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz beschwor jüdische Tugenden, um ein Auseinanderbrechen, gar ein gegenseitiges Bekämpfen zu verhindern. »Unsere Kraft ist die jüdische Identität«, betonte Ehrenberg.
Diese Zustände beschäftigen das Verwaltungs- und Schiedsgericht beim Zentralrat der Juden fast täglich. Sein Vorsitzender Hermann Alter bestätigte die Warnungen Brandts. Diffamierung, Konkurrenzdenken, Machtstreben, Verleumdung, Eitelkeiten seien kein Horrorszenarium, sondern eine Zustandsbeschreibung mancher jüdischer Gemeinden. Dem Gericht gelinge es nach wie vor nicht, Lösungen zu erzielen. Ein auf Jahre hinaus tragfähiges Konzept zur Umstrukturierung der jüdischen Gerichtsbarkeit soll in den nächsten Monaten erarbeitet werden. Die Wahl der Mitglieder des Schiedsgerichts vertagten die Ratsdelegierten deshalb um ein Jahr.
Zeit ist Geld, das gilt auch für den Neubau der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Aus vier Standorten möchte Kuratoriumsvorsitzender Salomon Korn einen machen. Ein zwölf Jahre altes Konzept, das eine Drittelfinanzierung durch Bund, Land und Zentralrat vorsieht, sei bereits angenommen, versicherte Korn. Hinzu komme etwa eine Million Euro an Spenden, die das Hochschulkomitee akquiriert habe. Mit diesem Vertrauensvorschuss gegenüber ihrem Vizepräsidenten sagten die Delegierten ihre Unterstützung bei vier Gegenstimmen zu. Einstimmig verabschiedeten sie hingegen den ausgeglichenen Haushalt für das Jahr 2008.
Die Vielfalt in der Einheit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland imponierte auch dem Gesandten der Israelischen Botschaft, Ilan Mor. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland wolle er gern zur Stärkung Israels nutzen. Im kommenden Jahr feiert der jüdische Staat sein 60-jähriges Bestehen. »Zeigen Sie Gesicht«, rief Ilan Mor die Ratsdelegierten auf. »Kommen Sie nach Israel. Wir brauchen Sie vor Ort, damit auch Sie sehen, dass das Land ein Phänomen ist.«
»Sie vertreten das deutsche Judentum würdevoll«, dankte der Senior-Rabbiner William Wolff der Zentralratspräsidentin. Würdig, von schlichter Eleganz war nicht nur die Tagung, sondern auch das festliche Dinner am Vorabend. Charlotte Knobloch hat als Hausherrin die Vertreter jüdischer Gemeinden aus ganz Deutschland erstmals in ihrer Heimatstadt willkommen geheißen. Die Delegierten dankten ihr dies mit anhaltendem Applaus.