von Wladimir Struminski
Der Jordan bietet ein trauriges Bild. Warum er von der Bibel als wasserreich, geschweige denn reißend beschrieben wurde, läßt sich heute kaum noch nachvoll-
ziehen. An vielen Stellen ist das Gewässer nur ein besserer Bach, der Wasserpegel sinkt. Kein Wunder: Die noch vor einem Jahrhundert zwischen dem Kinneret und dem Toten Meer durch den Jordan fließende Wassermenge ist auf eine Restgröße geschrumpft. Zum größten Teil wurde das kostbare Naß von den Anrainer-
staaten Israel, Syrien und Jordanien umge-
leitet und der Wirtschaftsentwicklung zugeführt. Mehr als das: Nur noch ein Drittel des Jordanwassers kommt aus einer natürlichen Süßwasserquelle, dem zwischen Syrien, Jordanien und Israel verlaufenden Jarmuk-Fluß. Der Rest stammt aus ungereinigten Kanalisations- und Landwirtschaftsabwässern oder salzhaltigen Was-
serquellen. Da ist nicht nur das Trinken, sondern auch das Baden eine Gefahr.
Jetzt droht dem Fluß ein weiteres Desaster. In diesem Monat stellten Syrien und Jordanien den in Gemeinschaftsarbeit errichteten Al-Wahda-Damm am Jarmuk fertig. Für den Jordan ist das eine Hiobsbotschaft. »Wenn das Jarmukwasser ausbleibt, führt der Jordan im Sommer kein, im Winter kaum noch Wasser«, warnt Gidon Bromberg, israelischer Direktor der Umweltorganisation Friends of the Earth Middle East. Will heißen: Wo einst die Hebräer laut dem biblischen Bericht den Jordan überquert haben und Jesus aus Nazareth sich nach christlicher Überliefe-
rung der Taufe unterzog, fließen vielleicht schon bald nur noch in Wasser aufgelöste Fäkalien, Rückstände und Salz, ohne das Flußbett nachhaltig zu füllen.
Allerdings hofft Bromberg, daß nicht alles verloren ist. Zwar ist die Inbetriebnahme des in jahrelanger Arbeit errichteten Damms nicht zu verhindern. Zudem ist Al Wahda nur das letzte Glied einer langen Kette von Übergriffen des Menschen gegen den Fluß. Deshalb fordern die in Israel, Jordanien und den palästinensischen Autonomiegebieten tätigen Friends of the Earth Middle East ein umfassendes Programm zur Rettung des Jordans.
Dabei müßte nicht nur der neue Damm seinen Durst beherrschen und einen Teil des angestauten Wassers abfließen lassen. Vielmehr sind alle Anrainerstaaten gehalten, ihre Wasserversorgung zu reformieren. So etwa bezieht Israel den größten Teil seines Trinkwassers aus dem Kinneret. Die Alternative: Statt Wasser aus dem 200 Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen See in andere Landesteile zu pumpen, könnte die Wasserwirtschaft in stärkerem Maße auf Meerwasserentsalzung zurückgreifen. Wie der ehemalige Direktor der Wasserkommission, Dan Zaslawsky, errechnet hat, wäre das angesichts der für das Pumpen benötigten Energiemengen eine auch ökonomisch sinnvollere Lösung.
In Jordanien setzt sich die Organisation für eine Modernisierung der Wasserwirtschaft ein. Unter anderem müßten die zahlreichen undichten Stellen im Rohrleitungsnetz beseitigt werden, während die Landwirtschaft ihre Bewässerung zunehmend auf gereinigte Abwässer umstellen sollte. Damit der Jordan wieder auf die Beine kommt, muß sein jährlicher Wasserdurchfluß auf das Dreieinhalbfache des heutigen Standes steigen.
Mit ihren Plänen zur Wiederherstellung des Jordans finden die Umweltschützer großen Anklang in den Anrainerkommunen, ob israelisch, jordanisch oder palästinensisch. Allerdings verläßt sich die Organisation nicht nur auf innenpolitischen Druck, sondern sucht Verbündete auch in der großen weiten Welt, etwa im Europäischen Parlament. Auch der deutsche BUND ist angesprochen worden. Unter religiösem Banner sollen christliche Evangelisten aus den USA in den Kampf um den heiligen Jordan ziehen. Zudem ist das amerikanische Außenministerium im Bilde, nachdem der Unterstaatssekretär für Umweltfragen, John Turner, sich bei einem Ortstermin von der katastrophalen Lage überzeugen konnte. Jetzt hofft Bromberg sogar auf ein Eingreifen des Weißen Hauses. Auf jeden Fall tut schnelle Hilfe not.