von Heide Sobotka
Rabbiner Netanel Teitelbaum verlässt Köln. Die Nachricht kommt selbst für enge Vertraute und Freunde des 33-Jährigen überraschend. Die Pessach-Gottesdienste wird der aus der Nähe von Haifa stammende orthodoxe Rabbiner nicht mehr abhalten. Sein Ersatz wird sein Vorgänger im Amt David Bollag sein, der derzeit unter anderem an der Universität Luzern unterrichtet.
Der schwergewichtige 1,90-Mann Teitelbaum hinterlässt in der Synagogen-Gemeinde Köln und in der orthodoxen Rabbinerlandschaft eine Lücke. Zwar habe man sich über kurz oder lang auf einen Abschied vorbereiten müssen, heißt es aus Gemeindekreisen, dass er so schnell kommen werde, war nicht erwartet worden. »Er ist ein Freund schneller Entschlüsse«, sagt Abraham Lehrer vom Gemeindevorstand.
Der Rabbiner, der am Montagabend mit seiner Familie auf eine kurze Visite noch einmal nach Köln kam, nennt vor allem zwei Gründe, die ihn zu dem Schritt veranlasst haben: die Gesundheit und die Familie. Bereits zur Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit Anfang März wirkte er angeschlagen und hatte einige Termine absagen müssen. Ein weiterer Grund ist, dass es eine weiterführende jüdische Schule in Köln nicht gibt. Teitelbaum hat drei Töchter im Alter von fünf, sieben und zehn Jahren. Seine älteste, Schiria Bracha, soll im Sommer aufs Gymnasium wechseln. In Köln und Umgebung gibt es jedoch keine entsprechende Einrichtung. Nur die Gemeinden Berlin und seit kurzem Frankfurt am Main können eine jüdische Schule mit gymnasialer Klassenstufe anbieten.
Der Entschluss, die Kölner Gemeinde zu verlassen, fällt dem Rabbiner nach eigenen Angaben nicht leicht. »Ich bin sehr traurig, die Gemeinde war für mich wie eine große Familie, in der ich mich immer sehr wohl gefühlt habe«, sagt Teitelbaum der Jüdischen Allgemeinen. Jedes einzelne Gemeindemitglied sei für ihn ein »erhellendes Licht« gewesen und habe ihn über gute und schlechte Momente getragen. Deshalb wolle er keine einzelnen Daten als Highlights seiner siebenjährigen Amtszeit in Köln hervorheben.
Teitelbaums Kollegen in der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD) reagierten betroffen auf dessen Entscheidung. Er habe keine Vorstellung, warum sich sein Freund zu diesem Schritt entschlossen habe, sagt Rabbiner Tuvia Hod-Hochwald aus Bad Kissingen. Vor allem in der Konferenz werde er fehlen. »Teitelbaum war Mitgründer unserer Organisation, durch seine Persönlichkeit und sein Engagement hat er sie wesentlich getragen«, sagt Hod-Hochwald. Es gelte jetzt sobald wie möglich einen dritten Mann für die Führung der Organisation zu finden, der neben dem Berliner Rabbiner Yitshak Ehrenberg und dem Frankfurter Menachem Halevi Klein trete. »Wir haben viele junge Kräfte. Vielleicht wird es einer von ihnen«, sagt Hod-Hochwald. Die ORD war und sei ihm wichtig, betont Teitelbaum im Gespräch mit dieser Zeitung.
Höhepunkt seiner Amtszeit – vor allem auch für die nichtjüdische Öffentlichkeit – war der Empfang von Papst Benedikt XVI. anlässlich des Weltjugendtages 2005 in der Domstadt. Ein Treffen, das vor allem auch sehr emotional wirkte.
Der Gemeinderabbiner und Sprecher der ORD empfing das Oberhaupt der katholischen Kirche mit offenen Armen. »Ihr Besuch ist auch ein aktives Zeichen gegen den früheren christlichen Antisemitismus. Ihr Besuch hat darin größte Symbolkraft«, bedankte sich Teitelbaum für den Besuch des Papstes am 19. August 2005 in der Kölner Synagoge. Benedikt XVI. betonte sein »tiefes Anliegen«, anlässlich seines ersten Besuches in Deutschland nach der Wahl zum Nachfolger Petri der jüdischen Gemeinde von Köln und den Vertretern des deutschen Judentums zu begegnen. Während der neuerlichen Diskussion über die alten lateinischen Fürbitten im Karfreitagsgebet hielt sich Teitelbaum mit kritischen Kommentaren zurück. In einem Gespräch mit Radio Vatikan im Februar sagte der Kölner Rabbiner: »Ich hoffe, dass es nicht die Intention ist, die andere Seite zu missionieren. Ich hoffe, dass ich das falsch verstanden habe.« Auch wenn er die Diskussion mit Sorge betrachte, wolle er keinen Stachel in die jüdisch-katholischen Beziehungen treiben: »Ich bin sicher, dass die katholische Kirche einen Weg finden wird, das zu erklären, und ich bin sicher, dass sie die jüdischen Gefühle nicht verletzen möchte. Das war bestimmt nicht die Absicht, aber jetzt brauchen wir auch eine klare Linie. Wenn den Juden der christliche Glauben beigebracht werden soll, wozu braucht man dann Dialog?«, sagte Teitelbaum. Seine Hoffnung für den Dialog ziehe er nicht zuletzt aus der Begegnung mit Papst Benedikt zweieinhalb Jahre zuvor.
Anfang dieser Woche ist Teitelbaum noch einmal für zehn Tage nach Köln zurückgekehrt, um die restlichen Koffer zu packen und die Dienstwohnung zu übergeben. Als Abschied wird die Gemeinde ihrem langjährigen Rabbiner einen Kiddusch am Schabbat ausrichten. »Hierbei wird sie die Gelegenheit haben, sich von ihrem Rabbiner zu verabschieden und umgekehrt der Rabbiner von der Gemeinde«, erklärt Abraham Lehrer.
Er selber sei sehr betroffen von dem Weggang Teitelbaums, auch wenn er dessen Beweggründen nachvollziehen und akzeptieren könne, sagt Lehrer, der mit dem Rabbiner persönlich befreundet ist. »Er ist ein großer Verlust für uns.« Teitelbaum habe nicht nur auf der großen politischen Bühne wie bei dem angesprochenen Papstbesuch, sondern vor allem für die Gemeinde viel erreicht. »Wenn wir zu Pessach acht Seder veranstalten, dann ist das mit sein Verdienst«, sagt Vorstandsmitglied Abraham Lehrer. »Er war der Vater der Grundschule der Gemeinde. Er hat im Wesentlichen die Orthodoxe Rabbinerkonferenz aufgebaut«, betont Lehrer, der sich vor allem von der herzlichen Persönlichkeit und dem mitfühlendem Wesen Teitelbaums beeindruckt zeigt.
Darüber hinaus habe der Rabbiner ein »ausgezeichnetes Verhältnis« zu Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma sowie zu dem Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner. Es werde sicherlich schwer für den Nachfolger, ein solches Renommee in der nichtjüdischen Öffentlichkeit zu erlangen.
Der Weggang von Netanel Teitelbaum hat sich in Rabbinerkreisen bereits herumgesprochen. Bewerbungen für seine Nachfolge in Köln liegen schon jetzt vor.