von Elke Wittich
Hartz IV, Arbeitslosengeld II, Ein-Euro-Jobs. Vor zwölf Monaten ließen diese Begriffe Arbeitssuchende erstarren. Nicht nur unter Sozialhilfeempfängern und Langzeitarbeitslosen war die Verunsicherung groß. Esther Haß, Gemeindevorsitzende aus Kassel, befürchtete damals im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, daß die Einführung von Hartz IV auch konkrete Auswirkungen, zum Beispiel bei der Teilnahme der Betroffenen an Gemeindeveranstaltungen haben könnten. »Wir haben einen sehr großen Einzugsbereich, praktisch den gesamten Regierungsbezirk Kassel. Die meisten unserer Mitglieder sind auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Sie müssen sich ihr Geld gut einteilen«, sagte sie.
Kassel liegt nahe der ehemaligen innerdeutschen Grenze, einer Gegend, aus der sich in den vergangenen Jahren nach dem Wegfall staatlicher Förderung viele Industrieunternehmen zurückgezogen haben. Ein weiterer Punkt, der Esther Haß große Sorgen bereitete, waren die Fahrtkosten, die eventuellen Mitarbeitern in Ein-Euro-Jobs entstehen würden.
Das Problem ist mittlerweile gelöst, wie auch die anderen Anfangsschwierigkeiten, die zum Beispiel bei Beratungen auftauchten. »Wir haben von Anfang an gut mit den Behörden zusammengearbeitet, dadurch konnten wir schon im Vorfeld der Reformen gezielte Aufklärungsarbeit leisten.« Wenn dann doch Klärungsbedarf bestand, habe sie ihre Fragen gesammelt und an den entsprechenden Sachbearbeiter gefaxt. »Wenn ich dann kam, habe ich immer präzise und korrekte Antworten erhalten«, erzählt Haß.
Dem Thema Ein-Euro-Jobs hatte Haß wie viele andere Gemeindevorsitzende zunächst skeptisch gegenübergestanden. Mittlerweile ist sie sehr zufrieden mit den zusätzlichen Arbeitskräften. »Nun haben wir drei: Einen gelernten Koch, der in der Küche arbeitet und den wir nun sogar schon zu einem Kaschrut-Seminar geschickt haben.« Eine gelernte Fotografin und ein Computerfachmann arbeiten an einer Dokumentation über den jüdischen Friedhof und erstellen eine CD-ROM. Damit beteiligt sich die jüdische Gemeinde an der Kasseler Bewerbung als Weltkulturhauptstadt.
Und was ist aus dem Fahrkartenproblem geworden? Auch das konnte von der Gemeinde gelöst werden: »Für die Kinder, die zum Religionsunterricht kommen und keine Schülerfahrkarte haben, übernehmen wir weiterhin die Fahrkosten.« Was in einer Gemeinde mit über 90 Prozent Zuwanderern mit knappen bis keinem Einkommen auch notwendig ist, obgleich die Bedürftigen selbst solche Zuwendungen nicht explizit einfordern. »Unsere Leute jammern nicht«, sagt Haß. »Wenn ich fragen würde, wer arm ist, würde sich kein Mensch melden, da knapsen sie lieber herum. Aber wir bekommen natürlich mit, wenn irgendwo bestimmte Sachen gebraucht werden. Allerdings ist das Geld, das den Gemeinden zur Verfügung steht, sehr knapp bemessen – und von den Kommunen ist nicht viel zu holen, da dort die Verschuldung teilweise schon sehr hoch ist.«
Auch in Leipzig sieht man in Zeiten leerer Kassen die Möglichkeiten, die sich durch Hartz IV eröffnen, recht positiv, sagt Iosif Beznosov von der Gemeinde: »Achtzehn Ein-Euro-Jobs konnten geschaffen werden«, berichtet er. Die Mitarbeiter werden besonders mit sozialen Aufgaben betraut. »Sie bestreiten zum Beispiel einen Begleitdienst und gehen mit Leuten zu den Ämtern oder zum Arzt und dolmetschen, wenn es nötig ist. Einsame ältere Menschen werden zu Hause besucht, wobei es nicht nur darum geht, daß sie Ansprache haben, sondern eben auch Hilfe im Haushalt und bei der Erledigung von Alltagsaufgaben erhalten.«
Einen solchen Ein-Euro-Job ergattert man in Leipzig allerdings nicht so ohne weiteres. »Wir haben uns vorher eine Menge Gedanken gemacht«, sagt Beznosov. »Wichtig war für uns, daß die Personen schon vorher in der Gemeinde aktiv gewesen sind. Entsprechend haben wir sie danach ausgesucht, ob sie schon einmal etwas ehrenamtlich gemacht haben.« Der Zuspruch sei im Laufe des Jahres gestiegen,
ein Zeichen, daß die Hartz-IV-Empfänger wirklich gern arbeiten wollen. »Am Anfang haben wir Leute gesucht, nun suchen die Leute uns.« Ohne die Ein-Euro-Jobs seien einige Angebote der Gemeinde in dieser Form nicht so ohne weiteres zu machen, meint Beznosov. »Allerdings sind wir auch weiterhin auf unbezahltes ehrenamtliches Engagement angewiesen, und das wird auch weiterhin geleistet.«
Auch ganz im Westen der Bundesrepublik ist man mit Hartz IV eher zufrieden. Lea Floh, Vorsitzende der Mönchengladbacher Gemeinde betont: »Mir gefällt die Möglichkeit, Ein-Euro-Jobs zu schaffen, schon sehr«, sagt sie. Elf Mitarbeiter wurden eingestellt. Die Arbeitslosenquote in der Region ist hoch. »Wer nicht perfekt Deutsch spricht, hat auf dem hiesigen Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance.« Das werde manchmal zum Problem.
In der Gemeinde arbeiten die neuen Beschäftigten nun im Seniorenbreich, in der Sonntagsschule
und im Sicherheitsdienst. Sie sind sehr glücklich darüber, nicht mehr untätig zu Hause herumsitzen zu müssen«, freut sich Floh und fügt hinzu, daß sich manchmal auch nichtjüdische Langzeitarbeitslose bewerben. »Wir haben aber entschieden, daß wir nur Gemeindemitglieder nehmen. Am Anfang wurden von den Ämtern auch Nichtjuden geschickt, aber unsere Leute brauchen diese Jobs genauso, und für sie sind sie zusätzlich eine Chance zur Integration.«
800 Juden und 250 gemäß der Halacha nichtjüdische Familienangehörige leben in Mönchengladbach und werden von der jüdischen Gemeinde betreut. Die meisten sind Zuwanderer aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, die trotz qualifizierter Berufsausbildung nun ohne Arbeit sind und sich entgegen manchen Vorurteilen meistens nicht zu schade sind, Jobs anzunehmen, die andere wohl empört als unzumutbar ablehnen würden.
»Wir haben zum Beispiel einen Mann, der in seiner Heimat viele Jahre als Arzt gearbeitet hat«, berichtet Floh. »Als über 50jähriger ist er aber nicht mehr vermittelbar. Nun arbeitet er eben in einem Altenheim und macht eine Umschulung zum Pfleger, damit er wenigstens weiter in seinem Bereich aktiv sein kann. Seine Frau war früher Direktorin einer Schule – sie arbeitet nun nachmittags als Betreuerin in einer Ganztagsschule.«
Leo Friedman, Leiter des jüdischen Altenheims in Frankfurt am Main, kennt solche Beispiele für erfolgreiche Rückkehr ins Berufsleben durch die Ein-Euro-Jobs gut. Er ist ebenfalls zufrieden mit den Auswirkungen von Hartz IV. Weil sich unter den Mitgliedern der Frankfurter Gemeinde niemand für die neugeschaffenen Ein-Euro-Jobs beworben hatte, arbeitet er nun eng mit den Behörden und der Caritas zusammen, die eigens eine Firma innerhalb des Wohlfahrtsverbandes gegründet hat, die sich auf die Vermittlung von Hartz-IV-Empfänger spezialisiert hat.
»Diese Arbeitskräfte nehmen niemandem den Arbeitsplatz weg, denn es ist nicht gestattet, freigewordene oder abgebaute Stellen mit ihnen zu besetzen«, betont der Leiter des Altenzentrums. »Im Gegenteil, für sie kann es eine gute Chance sein, ins Arbeitsleben zurückzukehren.« Vier Menschen erhielten nach Ablauf der Mini-Jobs schon einen festen Vertrag im jüdischen Altenheim, erzählt Friedman stolz. Dabei hat er auch gleich einige praktische Tips parat für die Hartz-IV-Empfänger, die gern einen Ein-Euro-Job annehmen würden.
Eigeninitative sei das A und O. »Selber aktiv werden, ist ganz wichtig – sich also zum Beispiel selber an Firmen wenden, bei denen man gern arbeiten möchte und sich einfach initiativ bewerben. Selbst aktiv werden anstatt zugewiesen zu werden, macht auf Personalchefs schon einmal einen guten Eindruck«, sagt Friedman und fügt hinzu: »Arbeitgeber möchten natürlich lieber motivierte Leute haben. Und wenn man sich voller Elan zeigt, dann hat man auch vielleicht eine Chance, später in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen zu werden. Am besten informiert man sich sowieso bereits vor der Bewerbung über das Unternehmen und sucht sich gezielt Firmen aus, bei denen dies möglich ist.«
Allerdings sei für den Erfolg eines sehr wichtig, mahnt Friedman: »Deutsch lernen, Deutsch lernen, Deutsch lernen – und jede Chance nutzen, zu lernen, die Sprache anzuwenden!« Foto: Steinert