»Der I-like-Israel-Tag?« Der Mann kommt gerade aus einem Friseurgeschäft schräg gegenüber der Chemnitzer Synagoge und schüttelt den Kopf. »Nein, davon habe ich noch nie was gehört.« Gut 600 Mitglieder zählt die Jüdische Gemeinde in Chemnitz, und man sollte denken, daß eins der wichtigsten nichtreligiösen Feste doch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen müßte, besonders in den Tagen nach dem Tod des Zentralratspräsidenten Paul Spiegel, der viele Menschen – auch Nichtjuden – tief berührt hat.
Gerade erst interessierten sich mehr als 10.000 Besucher aus ganz Deutschland für die »Tage der jüdischen Kultur« in Chemnitz, die Veranstaltungen waren sehr gut besucht. Jüdisches Leben ist zweifellos in Chemnitz von öffentlichem Interesse. Aber offensichtlich nicht an diesem 4. Mai. Warum nicht? Niemand hatte die lokale Presse informiert, kein einziger Flyer, kein Plakat wies in Chemnitz auf den Israeltag hin. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft war nicht beteiligt an diesem doch bundesweit organisierten Event.
Im Eingangsbereich der Synagoge begrüßt Jewgeni Golyand die Mitglieder seiner Gemeinde, er hat den heutigen Nachmittag vorbereitet und wird durch das Programm führen. Der knapp 70jährige, braungebrannte und drahtige Mann mit dem weißblonden Haar ist elegant gekleidet, er lächelt herzlich und findet für die etwa 70 zumeist älteren Besucher nette Worte – aber er tut es nur auf russisch. Jewgeni Golyand, ein früherer Profiboxer, stammt aus Estland. Er gehört zu denen, die nach mehr als 60 Jahren in Chemnitz den Makkabi-Sportclub wiedergegründet haben. Golyand spricht, wie er nebenbei bemerkt, »Russisch, Estnisch, Finnisch und ein wenig Schwedisch«. Aber Deutsch, nein, Verzeihung, der alte Herr schaut bedauernd und sogar ein bißchen verlegen.
Das Programm im spärlich geschmückten Saal – ein großer Davidstern hinter der Bühne, eine Girlande und zwei israelische Fahnen daneben – beginnt mit dem Vortrag eines weiteren älteren Mannes: viel Geschichtliches aus den Tagen David Ben Gurions, dazu Bilder aus Jerusalem, dem Negev und vom Toten Meer. »Es kommen meist nur ältere Menschen zu solchen Veranstaltungen«, verrät Birgit Worm, die Sozialarbeiterin der Gemeinde. »Die Jüngeren wollen sich rasch in die deutsche Gesellschaft integrieren, was uns natürlich freut, aber damit wird das Kulturleben eben nur von den Älteren getragen, die meist kaum oder schlecht Deutsch sprechen.«
Inzwischen hat die Tanzgruppe, die sich erst vor zwei Jahren zusammengefunden hat, ihre Darbietung beendet, und der Chor tritt auf die Bühne. Er singt russisch. »Bei anderen Anlässen werden auch Lieder in weiteren Sprachen gesungen, auf hebräisch, jiddisch und auch auf deutsch«, sagt Birgit Worm. Nach einem anschließenden Quiz geht der kulturelle Teil des Programms zu Ende, und das Kuchenbuffet ist eröffnet.
Lächelnd, aber nachdenklich schaut Tanja Kotlova den anderen zu. Die 65jährige ehemalige Kinderärztin kam vor neun Jahren in die Bundesrepublik und spricht die Sprache ihrer neuen Heimat langsam, aber gut. Sie bedauert, daß kein einziger Programmpunkt auf deutsch geboten wurde. »Man muß sich integrieren. Ich selbst habe viel gelernt während meiner Mitarbeit bei der Chemnitzer Tafel, einer kostenlosen Speisung für Arme. Ich wollte keine dumme Ausländerin bleiben.« Die Ärztin nickt zufrieden und fügt nach einer Weile hinzu: »Israel ist meine Heimat, aber Deutschland ist mein Zuhause.« André Paul
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Es ist, als ob sich Israel bedanken möchte. Als am 2. Mai zwei weiß-blaue Israel-Fahnen vor der Kölner Synagoge gehißt werden, scheint die Sonne. Der erste richtig warme Tag in diesem Jahr.
Seit 1959 feiert die Kölner Gemeinde jedes Jahr Jom Haazmaut, den Geburtstag des Staates Israel, den Unabhängigkeitstag. Daß eine Geburtstagsfeier unmittelbar auf eine Trauerfeier folgt, das gibt es vielleicht nur im Judentum. Bevor der Jom Haazmaut am Abend des 2. Mai beginnen wird, trauern die Gemeindemitglieder am Jom Hasikaron um die bei der Gründung und Verteidigung des Staates Israel gefallenen Soldaten und um die Opfer von Terroranschlägen.
Es sind nur wenige Menschen gekommen. Viele Stühle in der Synagoge bleiben leer. »Der Enthusiasmus für Israel schwankt vielleicht ein wenig«, sagt Gemeindemitglied Daniel Lemberg. Er sagt aber auch: »Eine Basis an Unterstützung und Begeisterung für Israel ist aber immer vorhanden.«
»Wenn wir uns über die Gründung des Staates Israel freuen, müssen wir auch an die Menschen denken, die ihr Leben verloren haben«, sagt Ronald Graetz, Mitglied im Kölner Gemeindevorstand. Beim Gedenkgottesdienst in der Synagoge bläst Rabbiner Netanel Teitelbaum das Schofar, das nur an hohen Feiertagen erklingt. Nach dem offiziellen Gedenken singen die Gemeindemitglieder zum Abschluß die Hatikwa, die israelische Nationalhymne.
Bevor jedoch die Feier im Gemeindesaal beginnt, hält Ronald Graetz inne: »Leider ist bei uns Juden heute die Freude nicht ungetrübt.« Zwei Tage zuvor ist der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, gestorben. Graetz nennt Spiegel einen »großen Freund und Förderer« der Gemeinde.
Bei der anschließenden Feier im Gemeindesaal ist es schon ein wenig voller. Viele Zuwanderer sind mit dabei. Daß sich die neuen Gemeindemitglieder aus Osteuropa nicht für Israel interessieren, diese Erfahrung hat Ronald Graetz nicht gemacht. »Bei uns gehören russische und jüdische Kultur zusammen«, sagt Graetz. »Wir feiern russische Feste, aber eben auch den Jom Haazmaut. Da gibt es keine Diskussionen.«
Mitten im Raum sitzt ein älterer Mann: Abraham Besserglik. Er lebte in Tel Aviv, als David Ben Gurion am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeitserklärung verlas. Zuvor hatten die Briten ihr Mandat über Palästina für beendet erklärt. »Endlich waren wir nicht mehr abhängig von irgendwelchen Menschen«, sagt Besserglik über den historischen Tag. Der heute 82jährige war 1941 von Polen nach Israel geflohen. Dort schloß er sich der Untergrundorganisation Hagana an und arbeitete in einer geheimen Waffenfabrik.
Damit saß er an einer ganz entscheidenden Stelle. Denn noch am Tag der Unabhängigkeitserklärung griffen fünf arabische Staaten Israel an. Zwei Wochen spä- ter gründete sich die israelische Armee. Und die war auf Waffen angewiesen, die er besorgte. Später gründete Besserglik eine Fabrik für Metallbeschläge. 1977 kam er nach Deutschland, weil er von hier aus seine Produkte leichter in alle Welt exportieren konnte. Am Jom Haazmaut vermisse er Israel besonders, sagt Besserglik. »Wie man den Tag in Israel feiert, das ist kein Vergleich zu Deutschland.«
Dabei hat sich die Synagogen-Gemeinde große Mühe gegeben, ein Stück Israel in die Synagoge an der Roonstraße zu holen. Die Tische sind blau-weiß dekoriert, die Künstlerin Emma singt auf hebräisch. Und es duftet nach Falafel. »Ohne Israel gäbe es diese Gemeinde nicht«, sagt Ronald Graetz. Benjamin Hammer
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Es ist windig an diesem warmen Frühlingstag in Mainz. »Da sieht man mal, wie ungeübt wir noch in dieser Veranstaltung sind«, sagt Peter Waldmann, der Vorsitzende des Landesverbandes Rheinland-Pfalz. »Wir haben die Steine vergessen.« Er sammelt davongeflogenes Info-Martial ein und lacht. »Israel hat ganz andere Stürme überstanden, da werden wir ja wohl mit so ein paar kleinen Böen fertig werden.«
Die Gemeinde der Stadt richtet zum ersten Mal den I-like-Israel-Tag aus. Auf dem Marktplatz der Stadt hat man einen Infotisch aufgebaut, über eine kleine Musikanlage begrüßt man die Gäste und die Passanten. Wie es so ist auf einer ordentlichen Geburtagsparty werden Lieder gesungen, Reden gehalten – und Gespräche geführt. Hin und wieder bleibt einer der Vorbeispazierenden stehen und nutzt die Chance, Fragen zu stellen. Zum Beispiel, ob Judesein eine Nationalität ist und wie das mit den Speisevorschriften ist. Oder auch, um sein Erstaunen loszuwerden, wie ein im Enimem-Style gekleideter Jugendlicher, der ganz sicher ist, daß da ganz bestimmt ein falscher Geburtstag gefeiert wird. »Israel ist doch das uralte Land der Bibel, das kann unmöglich erst 58 Jahre alt sein.«
Und auch die bei keiner öffentlichen Veranstaltung fehlende Horde sechsjähriger Jungen schaut vorbei. Vielleicht gibt es ja irgendetwas umsonst. Gibt es, und deswegen fahren sie kurz darauf kleine Israel-Fähnchen an ihren Rädern spazieren.
Alles ganz normal, wie Peter Waldmann erfreut feststellt. Die Veranstaltung habe man bewußt nicht »in den Medien angekündigt, wir wollen einfach selbstverständlich da sein wie alle anderen auch und kein großes Aufhebens darum machen.« Denn das ermögliche eben auch, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die absolut zufällig vorbeikämen. »So erfährt man mal, was die Mitbürger wirklich denken«, sagt der Ur-Mainzer.
Die Tanzgruppe unter Leitung von Iris Laimi hat sich derweil formiert und beginnt mit ihrer Vorführung. Noch mehr Passanten bleiben stehen, wippen im Takt mit und freuen sich, unvermutet etwas geboten zu bekommen. Wiederholt wird dazu aufgefordert mitzumachen. Manche tun es, andere blättern neugierig in den ausliegenden Reiseprospekten oder diskutieren. Und finden am Ende, daß das alles ruhig hätte ein wenig länger dauern dürfen. »So viel Interessantes« habe es gegeben, sagt eine junge Studentin.
»Die Veranstaltung war ein Erfolg«, resümmiert die Mainzer Gemeindevorsitzende Stella Schindler-Siegreich. Im nächsten Jahr werde man den ILI-Tag auf jeden Fall wieder feiern. Vielleicht wieder mit ein paar Böen – aber hoffentlich ohne Gegenwind. Elke Wittich