Geschichte

Hamburger Original

von Gabriela Fenyes

Fast hundert Stufen müssen Besucher erklimmen, wenn sie in die ehemals großbürgerliche Wohnung in dem weißgetünchten Jugendstil-Gebäude in der Ham- burger Rothenbaumchaussee 7 im Stadtteil Harvestehude gelangen wollen. Oder sie müssen sich in einen engen Fahrstuhl zwängen. Nur ein kleines Schild weist darauf hin, was sich hinter der Tür im dritten Stock verbirgt: Das Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ). Hier, wo früher eine Wohnung war, wird heute geforscht und gelehrt. Es geht um deutsch-jüdische Geschichte im allgemeinen, vor allem aber um die Dokumentation und historische Bearbeitung der Geschichte der Hamburger Juden. Am 4. Mai feierte das Institut sein 40jähriges Bestehen. Beim Festakt im Hamburger Rathaus würdigte Bürgermeister Ole von Beust die Einrichtung, die die Geschichte der deutschen Juden erforsche, begleite und bewahre. Den Festvortrag hielt der Historiker Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem, dessen Eltern aus Hamburg stammten. »Spurensuche – Hamburg auf der Erinnerungslandschaft des deutschen Judentums«, war das Thema von Zimmermanns Rede.
Das Institut für die Geschichte der deutschen Juden war die erste wissenschaftliche Einrichtung in der Bundesrepublik Deutschland, die sich ausschließlich diesem Forschungsgebiet widmete. Die Zeitspanne des Forschungsauftrags reicht von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. 40. 000 Bücher umfaßt die Bibliothek der Einrichtung, überall, selbst in der Teeküche, stehen Bücherregale. »Das IGdJ verfügt über die bedeutendste historische Sammlung im norddeutschen Raum und ist eine der größten Präsenz- und Forschungsbibliotheken zur deutsch-jüdischen Geschichte in Europa«, sagt die Direktorin, Stefanie Schüler-Springorum.
Hunderte von wissenschaftlichen Pu- blikationen und Büchern hat das Insutit seit 1966 veröffentlicht. Zum 40jährigen Gründungsjubiläum ist jetzt ein bebilderter Band erschienen: Das Jüdische Hamburg – ein historisches Nachschlagewerk. Darin wird die mehr als 400jährige Geschichte der Hamburger Juden in ihrer ganzen Bandbreite dokumentiert. Der Aufbau des Buchs als lexikonartiges Nachschlagewerk zur jüdischen Lokalgeschichte ist bisher einzigartig in Deutschland.
»Es soll wissenschaftlich erarbeitete Erkenntnisse in verständlicher Form vermitteln. Man kann einzelne Beiträge nach Lust und Laune lesen, man kann aber auch systematisch die Überblicksartikel lesen, um eine Frage oder Epoche genauer anzusehen«, sagt Kirsten Heinsohn, die für die Redaktion verantwortlich ist. 259 Einträge, davon 17 Überblicksartikel, 64 Sacheinträge und 178 biographische Einträge umfaßt das Werk, an dem 90 Autoren mitgewirkt haben. Ein Stadtplan mit jüdischen Stätten in Hamburg ermöglicht es, sich über Orte in dem Nachschlagewerk zu informieren und sie aufzusuchen.
Daß die Gründung des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden möglich wurde, ist eigentlich aus einem Rechtsstreit entstanden, erklärt die Direktorin. »Die Akten der jüdischen Gemeinde in Hamburg, die während des Zweiten Weltkriegs gerettet und ins Hamburger Staatsarchiv gebracht worden waren, wurden auch vom Zentralarchiv der Geschichte des jüdischen Volkes in Jerusalem beansprucht. Also wurden die Akten geteilt und die jeweils fehlende Hälfte durch Mikrofilme ersetzt.« Engagierte Hamburger Bürger hatten sich daraufhin dafür eingesetzt, eine Forschungseinrichtung ins Leben zu rufen, die sich primär damit befaßt, die Dokumente zur Hamburger jü- dischen Geschichte zu bearbeiten, sagt Stefanie Schüler-Springorum, die das Institut seit vier Jahren leitet.
Das IGdJ ist eine Stiftung bürgerlichen Rechts und wird von der Freien und Hansestadt Hamburg getragen. Organe der Stiftung sind das Kuratorium und ein Vorstand. In Zeiten der knappen Kassen bemüht sich das Institut Mittel einzuwerben, um seinen Forschungsauftrag erfüllen zu können. »Aber neben den finanziellen Sachzwängen geht es auch darum, ein breites Publikum zu erreichen, um nicht nur die Verfolgung während der Zeit des Nationalsozialismus darzustellen und zu erklären, sondern das reiche jüdische Leben vor der Schoa und auch die Gegenwart ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen«, sagt Schüler-Springorum. Deshalb finden zahlreiche öffentliche Vortragsreihen und Kolloquien für ein interessiertes Publikum statt, oft in Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen, Geschichtswerkstätten oder gesellschaftlich relevanten Institutionen.
Zu den Aufgaben ihres Instituts zählt auch die »Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchs1es auf dem Gebiet der deutsch-jüdischen Forschung«, sagt sie. Allerdings müssen sich die Studenten mit einem knapp 13 Quadratmeter großen Seminarraum begnügen. Aber der Umzug in ein größeres Gebäude Anfang 2007 steht bevor. Mit zwei weiteren Forschungsinstituten, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte sowie dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, soll ein neues Domizil unweit der Hamburger Universität bezogen werden. Von der Kooperation sollen alle drei Institutionen profitieren – etwa durch gemeinsame Lese-, Seminar- und Vortragsräume. Doch auch wenn das IGdJ seine Forschungs-Etage in Harvestehude bald aufgibt, seine Selbständigkeit wird es bewahren. Darauf legt das achtköpfige Team großen Wert.

das jüdische hamburg
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