Woche der Brüderlichkeit

Hamburger Begegnungen

von Frank Keil und
Christine Schmitt

Es ist jener Moment am Sonntagvormittag, der viel über das derzeitige Klima zwischen Juden und Christen in Deutschland erzählt: Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden, betritt den Saal des Hamburger Schauspielhauses, in dem sogleich die »Woche der Brüderlichkeit« eröffnet wird. Schnurstracks geht Knobloch zu ihrem Platz in der ersten Reihe. Zwei, drei Minuten sitzt sie dort und schaut nach vorn. Dann steht sie plötzlich auf und geht zu Kardinal Karl Lehmann, der sich eben in seinen Sitz hat fallen lassen. Sie begrüßt den Geistlichen, legt ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter, möchte nicht, dass der gebrechlich wirkende Mann extra für sie aufsteht. Doch das lässt er sich nicht nehmen, quält sich aus seinem Sitz, und die beiden stehen nun eng beieinander und reden. Das Murmeln der Gäste im Saal verebbt und wird zu einem leisen Summen.
Später gibt es dieses Bild noch einmal, höchst offiziell: Kurz bevor NDR-Moderatorin Julia Westlake mit zu laut ausgesteuerter Stimme ankündigt: »Meine Damen und Herren, der Bundespräsident und Frau Köhler!«, bauen sich Knobloch und Lehmann vor den Fotografen auf und schauen geduldig in die flackernden Blitzlichter.
Im Hamburger Schauspielhaus ist an diesem Vormittag kein Platz mehr frei. Allein die ersten sieben Reihen füllen politische und religiöse Prominenz und Vertreter des Diplomatischen Corps. Der israelische Botschafter Yoram Ben-Zeev ist da, Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust und eben Bundespräsident Horst Köhler. Abi Pitum vom Vorstand des Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wird später sagen: »Es gab mal Zeiten, da wurde nur der Stellvertreter des Stellvertreters geschickt.«
Am Abend zuvor hat Hamburgs Erzbischof Werner Thissen eine Erklärung zu den abstrusen Vorgängen um die Wiedereinsetzung des Bischofs Richard Williamson abgegeben. Thissen spricht von »diesem Bischof« und sagt Sätze wie: »Das Gift des Antisemitismus hat in der Kirche keinen Platz.« Solche Worte kommen bei den hier Versammelten gut an, auch wenn sie niemanden überraschen. Überhaupt ist es eine angenehme, vertraut und manchmal fast privat wirkende Feier im Vorfeld der großen Reden am Sonntag. Sie zeigt, dass sich die Basis in ihrem Wunsch nach Austausch und Dialog keinesfalls entmutigen lässt. »Schön, dass sich die Religionen so gut vertragen«, sagt eine ältere Dame und bindet sich ihren lila Schal um. Fast geheimniskrämerisch setzt sie hinzu: »Wir haben ja auch die gleichen Wurzeln.« Ein älterer Herr auf Krücken winkt einem anderen älteren Mann mit Krücken zu, und der winkt, ebenfalls mit Krücken, zurück. Soll wohl heißen: Wir sind nicht unterzukriegen, auch wenn der Weg beschwerlich sein mag. Mancher gibt zu bedenken, dass der Papst mit seinen mal zweifelhaften, mal nicht hinnehmbaren Entscheidungen dem christlich-jüdischen Dialog, der doch zuletzt etwas eingefahren war, neuen Schwung verpasst habe. Oft wird auch am Sonntag in den Reden im Schauspielhaus jeder Form von Antisemitismus und Antijudaismus eine klare Absage erteilt, wird das diesjährige Motto »So viel Aufbruch war nie« beschworen.
Auch in Berlin sind am Sonntagvormittag viele Menschen zur Eröffnungsveranstaltung ins Jüdische Gemeindehaus in der Fasanenstraße gekommen. »Jetzt erst recht«, sagt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. Der Vatikan habe schwere Fehler begangen, die müssten nun ausgeräumt werden, fordert er.
Zentralratsvizepräsident Dieter Graumann würdigt ebendiese Haltung vieler Katholiken, die sich kritisch gegenüber dem Vatikan geäußert hätten. »Diese Solidarität hat uns gutgetan.« Graumann fordert, die Piusbrüder wieder aus der katholischen Kirche auszuschließen. »Der Papst sollte seine Entscheidung revidieren.« Lauten Applaus bekommt Graumann für diese Worte. Berlins Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky pflichtet ihm indirekt bei. »Dass Menschen, die von sich behaupten, katholisch zu sein, solche Ungeheuerlichkeiten wie die Leugnung der Schoa wagen«, habe er nicht für möglich gehalten.
Im Hamburger Schauspielhaus kommt inzwischen Stimmung auf. Dafür sorgt Julia Westlake. Recht forsch fragt sie den diesjährigen Preisträger der Buber-Rosenzweig-Medaille, den Münsteraner Theologen Erich Zenger: »Sind Sie nicht sauer über das, was im Vorfeld passiert ist?« Aber klar sei er das, sagt er und nutzt die Chance, vor Publikum und Kameras mal so richtig aus der Haut zu fahren: Er nennt die Piusbruderschaft »dümmlich«, prangert die Entscheidung des Papstes an, die Tridentinische Karfreitagsfürbitte wieder zuzulassen und sprüht nur so vor Streitlust – bis die Moderatorin seine Kochkünste erwähnt und erzählt, dass er meist koscher esse, doch seiner Profession gemäß als Alttestamentler eigentlich vegetarisch leben müsste, nur sei er Bayer und da falle dies schwer – was für Heiterkeit im Saal sorgt. Überhaupt: Ein bisschen mehr Show, ein bisschen mehr Entertainment kann nicht nur die Eröffnungsveranstaltung zur »Woche der Brüderlichkeit« gut gebrauchen.
Das ist es auch, was manche Befürworter und Anhänger des christlich-jüdischen Dialogs jenseits des aktuellen Ungemachs sorgenvoll in die Zukunft blicken lässt. Sie alle sind in die Jahre gekommen, wer 40 ist, zählt hier zu den Jungen. Was werden in zehn Jahren die Themen sein und was der Antrieb, sich jenseits theologischer Fragen mit dem Verhältnis von Juden und Christen zu beschäftigen? Immer wieder ist in diesen Tagen eine Frage zu hören: Wie kann man der jungen Generation vermitteln, dass der Dialog zwischen Juden und Christen so wichtig ist?

Washington

Trump ordnet Angriffe auf Huthi-Terrormiliz an

Huthi-Milizen greifen vom Jemen immer wieder Schiffe an. US-Präsident Trump reagiert mit Härte

 15.03.2025

Erfurt

Israelischer Botschafter besucht Thüringen

Botschafter Ron Prosor wird am Montag zu seinem Antrittsbesuch in Thüringen erwartet

 15.03.2025

Berlin

Antisemitische Farbschmiererei an Hauswand in Berlin-Mitte

Die Gedenktafel in der Max-Beer-Straße ist Siegfried Lehmann (1892-1958) gewidmet

 14.03.2025

Berlin

Bundesregierung begeht Gedenktag für Opfer von Terror

Im Auswärtigen Amt werden dazu Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erwartet

 11.03.2025

München

Mann soll Plagiat wegen Obduktion seiner toten Mutter inszeniert haben

War es ein irrer Racheplan? Ein Mann soll mit der Fälschung eines Buches einem Rechtsmediziner geschadet haben. Seine Verteidigung fordert Freispruch – und auch er selbst äußert sich sehr ausführlich.

 07.03.2025

Hamburg

Wähler lassen AfD rechts liegen, Zeichen stehen auf Rot-Grün

In Hamburg hat Bürgermeister Tschentscher (SPD) weiterhin den Hut auf. Die AfD gewinnt Stimmen hinzu, bleibt aber vergleichsweise schwach

von Markus Klemm, Martin Fischer  03.03.2025

Israel

Tausende Israelis demonstrieren für die Freilassung der Geiseln

Die erste Phase der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas endet ohne eine Vereinbarung über eine Fortsetzung

 02.03.2025

Berlin

Geräuschlose Premiere: Schwarz-Rot sondiert still und leise

Möglichst bis Ostern soll die neue Bundesregierung stehen. Kein Selbstläufer, denn im Wahlkampf gab es viele Verletzungen. Wie problematisch diese sind, zeigt eine Umfrage in der SPD

von Marco Hadem  28.02.2025

Berlin

Entscheidung über Samidoun-Verbot dieses Jahr

Der Verein Samidoun, das Islamische Zentrum Hamburg, »Compact« - das Bundesinnenministerium hatte zuletzt eine Reihe von Vereinsverboten erlassen. Über einige wird demnächst entschieden

 26.02.2025