von Tobias Müller
Nach der Entscheidung traf Ahmed Aboutaleb der Volkszorn. Im Februar hatte der Rotterdamer Bürgermeister gemeinsam mit seinem Amsterdamer Kollegen Job Cohen beschlossen, dass die Spiele zwischen den niederländischen Fußballvereinen Feyenoord Rotterdam und Ajax Amsterdam in den nächsten fünf Jahren ohne Auswärtsfans stattfinden.
Vor dem Match der beiden Traditionsklubs waren Flaschen geflogen, die Polizei konnte die verhassten Fanlager nur mit Mühe auseinanderhalten, und die Rotterdamer hatten einmal mehr zum Besten gegeben, was für sie zu einem Spiel gegen den vermeintlichen »Judenklub« Ajax dazu gehört: die Parole »Hamas, Hamas, Juden ins Gas«. Nun richtete sich der Hass auf Aboutaleb selbst. Die Fans beschimpften den Sohn eines muslimischen Migranten aus Marokko als »dreckigen Juden«, der vergast werden müsse.
Die absurde Konstellation erklärt sich nicht allein durch die schlechte Wahrnehmungsfähigkeit des latent judenfeindlichen Stadionmobs von Feyenoord. Deren Demonstration Ende Februar war nur das letzte Glied einer langen Kette vergleichbarer Entgleisungen.
In vielen Stadien der niederländischen ersten Liga, der Ehrendivision, vor allem aber im Rotterdamer De Kuip, sind antijüdische Ausfälle bei Spielen gegen Ajax längst zur Gewohnheit geworden. Dazu gehören Zischlaute, die ausströmendes Gas imitieren sollen, oder Gesänge wie »Adolf, hier laufen noch elf, wenn du sie nicht vergast, machen wir es selbst«. In Rotterdam braucht man nicht einmal die Anwesenheit der Amsterdamer. Schiedsrichter machen sich in De Kuip mit Fehlentscheidungen schnell zum »Judenfreund«, und bei den rituellen Belagerungen des eigenen Klubhauses nach Heimniederlagen gehört es zur finsteren Folklore, der Chefetage ein »Judenvorstand« entgegenzubrüllen. Bürgermeister Aboutaleb, der zum Teil in Amsterdam aufwuchs, musste sich in zwei Mona- ten Amtszeit schon an diesen Umgangston gewöhnen.
Der Lieblingsgegner der Feyenoord-Fans, Ajax Amsterdam, ist indes nie ein ausdrücklich jüdischer Klub gewesen. Gemäß der Bevölkerungsstruktur der Hauptstadt gab es jedoch mehr jüdische Spieler und Funktionäre als in anderen Vereins. Auch lag das alte Stadion De Meer in der Nähe des früheren Judenviertels. Seit Jahrzehnten gehören Israelfahnen, Davidsterne und der Anfeuerungsruf »Juden!« zum Repertoire der Ajaxfans, insbesondere im von Hooligans beherrschten Block F-Side.
Der Klubleitung ist dies seit Längerem ein Dorn im Auge. Um antisemitische Vorfälle zu verhindern, appelliert sie an die Anhänger, mit dem positiven Bezug auf das Judentum nicht zu provozieren. Ins gleiche Horn stößt das niederländische Israel-
Informations- und Dokumentationszentrum (CIDI). Anfang März waren auch beim Amsterdamer Auswärtsspiel in Utrecht antisemitische Parolen zu hören. Alarmiert durch Demonstrationen gegen den Gasakrieg, auf denen zuletzt die gleichen Sprüche zu hören waren, wies das CIDI in einem offenen Brief die Ajax-Fans darauf hin, dass ihre »Juden«-Sprechchöre provozierend wirken. Die Fanvereinigung lehnte diesen Vorwurf ab.