von Sabine Brandes
Die Bilder sind schwer zu ertragen. Ein Mann, offensichtlich ein Gastarbeiter aus Fernost, steht nichts ahnend in einer öf-
fentlichen Telefonzelle, als er plötzlich von mehreren jungen Männern attackiert wird. Sie traktieren sein Gesicht mit Fäus-ten, zerschlagen eine Flasche auf seinem Kopf, schubsen und treten ihn. Minutiös ist das grausame Geschehen mit der Ka-
mera aufgenommen. Verstärkt wird die Brutalität durch aggressive Musik und immer wieder eingeblendete Hakenkreuze. Das Video stammt aus Petach Tikwa.
Hier, in der Arbeitervorstadt von Tel Aviv, sind die Neonazis des Judenstaates zu Hause. Sie kleiden sich wie ihre Vorbilder aus Europa: Bomberjacken, helle Jeans, Springerstiefel, die Schädel sind geschoren, die Körper mit Nazisymbolen tätowiert. So gehen sie auf die Jagd nach ihren Opfern, meist Ausländer, Junkies, Obdachlose oder junge orthodoxe Jeschiwaschüler. Selbstherrlich nehmen sie ihre Übergriffe gegen unschuldige Menschen auf Video auf und ergötzen sich an den Gewalttaten.
Neonazis in Israel – das scheint völlig absurd und ist doch Realität. Zwar ist es nach wie vor eine Randerscheinung, Soziologen schätzen die Nazianhänger auf einige Hundert, aber es wird immer deutlicher, dass sie organisiert sind und Verbindungen zu Gleichgesinnten in Europa und den USA haben.
2004 nahm die israelische Öffentlichkeit zum ersten Mal Notiz von dem Phänomen, als Nazis auf strengreligiöse Schüler losgingen. Zwei Jahre darauf wurden zwei Synagogen in Petach Tikwa innen und außen mit Hakenkreuzen und dem Wort »Hitler« beschmiert. Die heiligen Torarollen fand man beschmutzt auf dem Boden. Nach mehr als einjährigen verdeckten Ermittlungen gelang es der Polizei kürzlich, eine Neonazizelle im Ort aufzudecken. Acht junge Männer wurden in Gewahrsam genommen, alle stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Einige sind Juden, andere nicht. Es waren hauptsächlich die Videos, die sie überführten. Paradoxerweise können sie nicht wegen der Neonazi-Aktivitäten angeklagt werden, da dies in Israel nicht illegal ist. Stattdessen werden ihnen schwere Körperverletzung, Anstachelung zu Rassismus und andere Delikte zur Last gelegt.
Arik Bunyatow, vermeintlicher Anführer der Zelle, ließ verlauten, er sei kein Nazi und nicht auf den Bildern zu sehen. Es handle sich schlicht um eine Verwechslung. Sein Computer jedoch ist voll mit Nazimaterial. Alle anderen Beteiligten im Alter von 16 bis 21 haben bereits gestanden. Der neunte Verdächtige, ein Soldat der israelischen Armee, setzte sich im vergangenen Monat ins Ausland ab. Der Verteidiger eines der Angeklagten bezichtigte die Polizei, die Geschehnisse aufgebauscht und absichtlich einen »Medienwirbel« heraufbeschworen zu haben.
Natürlich sind es vor allem die grauenvollen Gewalttaten, die eines Eingreifens bedürfen. Doch auch die kleinen, alltäglichen Grenzüberschreitungen jagen ei-
nem eine Gänsehaut über den Rücken. Das Tabu, den Holocaust zu vergleichen oder zu Scherzen heranzuziehen, scheint immer mehr aufzuweichen. So findet es ein junger Professor an einer Jerusalemer Kunsthochschule völlig normal und sogar witzig, ein teures Café als »Nazi-Kaffee« zu bezeichnen.
Die israelischen Neonazis bedienen sich auch des Internets als Forum: Die be-
sonders widerliche Veröffentlichung eines sogenannten Steven Malik – die wahre Identität ist nicht bekannt – mit der Aufforderung »das zu beenden, was Hitler be-
gonnen hat«, tauchte jüngst in einem israelischen Portal auf. Eingestellt wahrscheinlich von einem rechtsextremistischen Is-
raeli. Zwar wurde der hasserfüllte Aufruf gegen Aschkenasim, Linke und Araber kurze Zeit später entfernt und der Verfasser gesperrt, doch dies ist keine Einzeltat im weltweiten Netz.
Salman Gilichinsky, der vor fast 20 Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion einwanderte, hat sich auf die Fahnen geschrieben, der hässlichen Fratze des Nazis- mus furchtlos ins Gesicht zu schauen. In seinem Informationszentrum für Antisemitismus in Israel dokumentiert er sämtliche Übergriffe und Aktivitäten, die ihm zu Ohren kommen. Die Angriffe der hauptsächlich russischstämmigen Neonazis würden zusehends häufiger und brutaler, weiß er zu berichten. Seine Organisation bekomme wöchentlich mehrere Anrufe, in russischsprachigen Zeitungen würde zu-
dem fast jede Woche über Gewalttaten be-
richtet. Gilichinsky ist überzeugt, dass die Problematik von Politikern und Öffentlichkeit völlig unterschätzt wird.
Unbestritten ist, dass die jüngsten Bilder der kahl geschorenen Neonazis, die Hand zum »Hitlergruß« erhoben, die Öf-
fentlichkeit hierzulande zutiefst schockieren. Wochen schon sind sie präsent in den Hauptnachrichten, bestimmen die Seiten der großen Tageszeitungen. Das Material, das die Ermittler auf den Computern der Verdächtigen sicherstellten, zeigte, dass die Zelle Hitlers Geburtstag in der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem plante.
»Dass es so etwas in unserem Land, dem einzigen wirklichen Zufluchtsort für Ju-
den, gibt, darf einfach nicht sein«, macht Chana Schani, Holocaustüberlebende aus Petach Tikwa, deutlich. »Damals, als hier die Synagogen beschmiert wurden, blutete mir schon das Herz, doch ich dachte, das haben sicher ein, zwei Verrückte getan. Diese neue Gewalt aber ist unglaublich. Wie kann es sein, dass ich als Jüdin, als Opfer der Schoa, im Judenstaat Angst vor Nazis haben muss?« Schani ist der Ansicht, dass alle Schuldigen, jüdisch oder nichtjüdisch, sofort ausgewiesen werden müssen.
Diese Meinung vertritt auch der Knessetabgeordnete Zevulun Orlew (Nationale Union/Nationalreligiöse Partei). Das derzeitige Rückkehrgesetz erlaubt es jedem, der entsprechend der Halalcha jüdisch ist sowie seinen Angehörigen, auch Enkeln, nach Israel einzuwandern. Orlew will eine Gesetzesänderung, die es ermöglicht, die Einbürgerung zurückzuziehen und Neonazis in das Land zurückzuschicken, aus dem sie emigriert sind. »Wenn es um Enkel geht«, so der Politiker, »sprechen wir von der zweiten Generation von Nichtjuden. Die Entfernung dieser Menschen vom Judentum ist groß – und das unterminiert zunehmend den jüdischen Charakter un-
seres Staates.«