von Brigitte Jähnigen
Das Motto der Jüdischen Kulturwochen in Stuttgart ist brisant: »Juden auf Wanderschaft«. Einerseits sucht die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) den Dialog mit der nichtjüdischen Gesellschaft, will sie tatsächlich ihren Platz als lebendige jüdische Gemeinde im Herzen Württembergs dauerhaft einnehmen. Andererseits muss sie ihre internen Konflikte lösen. An Impulsgebern mangelt es nicht, wie am Montagabend bei der Eröffnung der Kulturwochen im Stuttgarter Rathaus zu erleben war. »Die Zeit der getrennten Wege ist vorbei«, sagte Ministerpräsident Günther H. Oettinger. Land und jüdische Gemeinde seien Partner bei der Integration der Zuwanderer. »Ich gebe ihnen meine ideelle und materielle Zusage zur Förderung über alle Parteigrenzen hinweg«, versprach der Politiker.
Tage zuvor war es in Stuttgart zum Eklat gekommen: Ein pensionierter Theologe hatte Anstoß am Termin des Landespresseballs genommen. Erinnerungskultur und ausgelassenes Feiern passten an einem Tag wie dem 9. November nicht zusammen. Auch der Zentralrat hatte daran Kritik geübt. Mit einem kurzen Verweis auf »diese Veranstaltung« streifte der Ministerpräsident am Montagabend den Vorfall. Es sei ihm wichtig gewesen, »dass der Landespresseball in diesem Jahr einen anderen, einen nachdenklichen Charakter erfährt«. Verärgert hätten ihn in der Debatte »Stimmen, die versucht haben zu provozieren und nicht maßvoll zu kommentieren.«
Applaus erhielt am Montagabend Charlotte Knobloch für ihren Aufruf, dieses historische Datum nicht der Beliebigkeit preiszugeben. Anlässe wie die Kulturwochen seien geeignet, allen Aspekten jüdischer Kultur und Tradition auf den Grund zu gehen. »Der Facettenreichtum jüdischer Kultur, ihre kosmopolitische Art ist ein Vorbild für das vereinte Europa«, sagte Knobloch.
Auf dem Programm der vierten Jüdischen Kulturwochen stehen 40 Konzerte, Filmaufführungen, Lesungen, Vorträge, Theateraufführungen und Ausstellungen. Zum ersten Mal gibt es Veranstaltungen nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Ulm, Heilbronn, Schwäbisch Hall, Reutlingen und Hechingen.
Ziel der Kulturwochen ist es, laut IRGW, den Dialog mit der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft zu fördern und das Verständnis für die jüdische Religion und Kultur zu vertiefen. Es gehe auch darum,
Akzente gegen Vorurteile und Klischees zu setzen, betonte Martin Widerker, Vorstandsmitglied der IRGW, bei der Vorstellung des Programms.
Musikalischer Höhepunkt ist ein Operettenabend am 18. November in der Liederhalle. Präsentiert werden Werke der Komponisten Jacques Offenbach, Paul Abraham und Johann Strauß. Mit Spaziergängen durch das jüdische Stuttgart, einer Filmwoche oder Theaterveranstaltungen setzen die Kulturwochen ihr Motto »Juden auf Wanderschaft« um. Weitere Highlights sind Lesungen wie zum Beispiel die des ungarischen Literatur-Nobelpreisträgers Imre Kertész, der seine Biografie Dossier K. vorstellt oder ein Literaturfrühstück, bei dem neben Brötchen und Kaffee auch Anekdoten, Pointen und Scherze als Elemente jüdischer Erzählkultur auf den Tisch kommen. (mit dpa)
Informationen zu den Veranstaltungen stehen im Internet unter: www.irgw.de