von Ingo Senft-Werner
Was hat die heutige Generation der Deutschen mit der Schoa zu tun? Der Freiburger Autor Marc Buhl versucht mit seinem neuen Roman Das Billardzimmer eine Antwort zu geben, in dem er die Geschichte von Gero von Nohlen erzählt, der im Dritten Reich Juden gerettet und sich trotzdem schuldig gemacht hat. Der Immobilienmakler versteckt 1941 in Haus das jüdische Ehepaar Spiegler, dem die Flucht von Konstanz über die Grenze in die Schweiz nicht gelungen ist. Von Nohlens Motiv ist nicht zuletzt die Schönheit von Eva Spiegler, mit der er eine Affäre beginnt, während Evas Mann, ein Pianist, sich in die Musik flüchtet. Die Ausnahmesituation führt zu extremen Auswüchsen, für die es im Nachhinein viele Erklärungen gibt. Doch die Schuld bleibt.
Buhls Roman spielt auf zwei Zeitebenen: im Nationalsozialismus, in dem Gero von Nohlen sich in einem Geflecht aus Arisierung, Taktieren und Rettungstaten für Verfolgte verheddert, und in der Gegenwart, in der sich sein gleichnamiger Enkel auf Spurensuche begibt. Der lustlose Journalist mit depressiver Vergangenheit soll für eine Bank eine Lobhudelei auf seinen Großvater schreiben, der nach dem Krieg wegen seines Widerstands gegen die Nazis zum Helden aufstieg. Doch er ist mißtrauisch, spürt, daß der Vielgeehrte ein dunkles Geheimnis verbirgt. Zu Beginn findet von Nohlen junior jedoch nur Belege für den Helden. Erst als er den Geschäften mit jüdischen Häusern nachgeht, die sein Großvater teils zu Spottpreisen erstanden hat, kommen erste Zweifel. Doch dann erweist sich, daß Gero von Nohlen nach dem Krieg die Differenz zu den Marktpreise nachgezahlt hat – soweit die Vorbesitzer noch ausfindig gemacht werden konnten. Alles korrekt, urteilt ein befreundeter Archivar und der Enkel seufzt: »Inzwischen erlassen einem die Historiker die Sünden, nicht mehr die Kleriker.«
Am Ende erfährt der Held die Geschichte des Ehepaars Spiegler, die der Leser bereits aus der Perspektive von Eva kennt. Die Fakten sind klar, aber sie setzen sich für jeden der Betroffenen zu einer eigenen Wahrheit zusammen. Der Enkel spürt, warum sowohl sein Vater als auch er selbst am Leben verzweifelten und warum sein Bruder für seine politische Karriere über Leichen geht.
Marc Buhl präsentiert sich als ausgezeichneter Erzähler. Seine Handlungsstränge sind detailgenau aufgebaut, allerdings wirken sie an manchen Stellen konstruiert und mit zuviel Symbolik aufgeladen, so, wenn sich der Journalist am Ende des Romans in der Wüste verirrt Doch dafür entschädigen viele nachdenkenswerte Passagen, etwa wenn Eva Spiegler Enkelin ihm erklärt, daß jemand, der keine Verantwortung hatte, auch nicht schuldig sein kann. Gero hält dagegen: »Verantwortung ist eine Idee. Schuld ist eine Kraft. Sie ist stärker und älter.«
marc buhl: das billardzimmer
Eichborn, Frankfurt/M. 2006, 320 S., 19,90 €