von Oszkár Jankovich
Das Ungarische Tourismusamt hat ein schönes Anliegen. Mit seiner mehrsprachigen Broschüre »Shalom« will es Gäste auf das jüdische Erbe des Landes hinweisen – und produziert dabei Pannen in Serie.
Auf dem Titelblatt von »Shalom« ist ein goldener Chanukkaleuchter in einer Bibliothek abgebildet, über dessen Bedeutung man im Heftinneren dann nichts mehr erfährt. Auf der zweiten Seite beginnt der deutsche Text mit einer nett gemeinten Einleitung: »Shalom! So werden die aus Israel und aus anderen Ländern ankommenden jüdischen Touristen in Ungarn begrüßt.....« Den Wahrheitsgehalt dieser Worte würden die meisten Ungarn allerdings wohl bezweifeln. Auch jüdische Touristen werden zumeist auf Englisch oder Deutsch willkommen geheißen. Ein »Shalom« könnten sie höchstens in den wenigen jüdischen Gemeinden, Schulen oder im Jüdischen Museum hören, wenngleich jüdische Kultur in Ungarn seit der Wende 1989 einen Aufschwung erlebt. Umgekehrt leben heute so viele ungarischstämmige Juden in Israel, daß man in Jerusalem, Tel Aviv oder Haifa oft ungarische Wörter hört.
In dem Prospekt »für ankommende jüdische Touristen« wimmelt es von Ungenauigkeiten. Viele sind nicht einfach mit Oberflächlichkeit zu entschuldigen. Unter ande- rem die Abbildung eines ungarischen Königs in einem sechseckigen Stern: ein bemaltes Glasfenster aus dem berühmten Parlament in Budapest. Angefertigt hatte das Fenster der Glasmaler und Bleiglaskünstler Miksa Róth (1865-1944). Das Fenster sei eine »jüdische Spur«, behaupten die Prospektmacher, obwohl das Symbol des Davidsterns auch von Christen benutzt wurde. Keine Rede davon, daß Róth Glasfenster auch für katholische und protestantische Kirchen anfertigte. Ihn als jüdischen Künsler zu bezeichnen ist genauso weit hergeholt wie die Aussage, die Farbe Weiß in der ungarischen Trikolore wiese auf die »jüdisch-christliche Kultur« des Landes hin.
Touristen, die in Ungarn nach Synagogen suchen, will der Führer helfen. Leider führt er sie dabei oft in die Irre. Auf Seite 7 wird das Foto der Synagoge in Zalaegerszeg fälschlicherweise als Gotteshaus in Szom-bathely bezeichnet. Immerhin liegen beide Städte in Westungarn, und den Redakteuren fiel der Irrtum offenbar nicht auf. Unklar bleibt auch, wo sich der Schrein auf Seite 8 befindet. Laut Bildunterschrift stammt er aus der Synagoge von Köpcsény (deutsch Kittsee). Dieses Dorf aber liegt 20 Kilometer südwestlich von Bratislava (Preß- burg) und gehört heute zu Österreich. Auf der nächsten Seite findet man einen Text über »den in Preßburg wirkenden Rabbiner Moses (Chatam Sofer)«, ohne klar zu machen, daß Preßburg (ungarisch Pozsony) die Hauptstadt der Slowakei ist.
Irreführend ist auch eine Auflistung der ungarischen Synagogen. Hier werden vor allem Gotteshäuser aufgeführt, die dem ungarischen Staat gehören. Nach Angaben des Verbandes Ungarischer Jüdischer Glaubensgemeinschaften (MAZSIHISZ) gibt es in Budapest 23 Synagogen, die noch funktionieren. Gerade einmal 18 listet die Broschüre auf. Es fehlen die Synagoge in der Rumbach-Sebestyén-Straße, eine der drei größten der Stadt, und die große Synagoge in Tokaj, die bereits in den 80er Jahren von der Gemeinde renoviert wurde.
Verzeichnet sind dagegen Synagogen, die längst in anderen Besitz übergegangen sind. Die große Synagoge zu Szolnok gehört zur Zeit dem Damjanich-Museum und wird als Galerie genutzt. Die Synagoge von Kecskemét wurde nach dem zweiten Weltkrieg verstaatlicht, zum »Haus der Technik« umgestaltet und als Zentrum der Gesellschaft für Wissenschaften und Weiterbildung genutzt. Informationen darüber werden nicht mitgeteilt, die aktuellen Besitzverhältnisse verschwiegen. Forscht man nach, so wird klar, daß auf der Prospektliste ausschließlich für kulturelle Zwecke umgewidmete Synagogen stehen. Die einzige aufgeführte Synagoge, die auch heute noch von einer Gemeinde genutzt wird, ist die kleine Synagoge von Baja, in der sich auch eine Bücherei befindet.
Kein Wort verliert die Broschüre darüber, wie die Synagogen in staatlichen Besitz gelangten. Viele wurden in den 50er Jahren durch das kommunistische Regime enteignet. Es gab auch jüdische Gotteshäuser, die in dieser Zeit als Getreidelager und Ställe genutzt wurden. Die ohnehin kleine Zahl der in Ungarn verbliebenen Juden nahm in dieser Periode rapide ab. Neben dem christlichen wurde auch der jüdische Religionsunterricht unterdrückt. Die junge Generation konnte sich allenfalls im Geheimen mit der jüdischen Kultur vertraut machen.
Der Vertreibung und der Vernichtung der Budapester Juden widmet die Broschüre drei von 36 Seiten. Über Verfolgungen außerhalb der Hauptstadt wird nichts gesagt. Nicht erwähnt werden zwei wichtige, wenn auch umstrittene Institutionen in Budapest, die sich mit dem Holocaust beschäftigen. Dazu zählen das 2002 eingerichtete »Haus des Terrors«, das neben dem kommunistischen Terror auch an die faschistischen Greuel der Pfeilkreuzler in Ungarn erinnert. Auch das Holocaust-Dokumentationszentrum in der Páva Straße fehlt. Zu allem Überfluß wird auf Seite 13 falsch angegeben, der weltberühmte Sportler Attila Petschauer sei »dem Holocaust zum Opfer« gefallen. Über die jüdische Mittelschule heißt es: »Das Jüdische Gymnasium Anne Frank im Budapester Bezirk Zugló ist eine 12-Klassen-Bildungseinrichtung.« Doch seit 1998 gibt es in Budapest kein Gymnasium dieses Namens mehr, die Schule wurde in Sándor-Scheiber-Gymnasium umbenannt.
Nach Angaben des Ungarischen Tourismusamtes in Budapest wird für 2006 eine Neuauflage der Broschüre vorbereitet. Die derzeitige kann bis dahin weiter bezogen werden. Auf Anfrage stellte sich heraus, daß die ungarische Version etwa im Jahr 2000 entstanden sein muß. Sie stammt von dem Budapester Rabbiner und Professor Tamás Raj. 2001 erschien eine englische Version. Die spätere deutsche Version wurde vom Ungarischen Tourismusamt in Frankfurt/Main unter Federführung der Direktorin Klára Strompf bearbeitet. Ergänzungen wurden gemacht, die Korrektur der Fehler jedoch unterblieb – leider!