von Axel Seitz
Dreck und Bauschutt liegen im Flur, der Putz bröckelt vom Fachwerk, die Fenster sind mit braunen Blechplatten verblendet, die Metalltür klemmt. Gleich hinter dem Eingang tut sich rechts ein großes Loch auf. Nicht einmal zwei Meter im Quadrat und etwas mehr als einen Meter tief – auf den ersten Blick erinnert die Grube an einen kleinen Keller als an das, was sie tatsächlich ist: eine Mikwe. Sie befindet sich im Vorderhaus der Hagenstrasse in der westmecklenburgischen Kleinstadt Hagenow.
Vor Jahrzehnten diente der Fachwerkbau der jüdischen Gemeinde als Schule und Gemeindehaus. Jetzt soll das Haus saniert werden. Bei ersten Arbeiten wurde kürzlich das Ritualbad freigelegt. Zwar wurde die Mikwe an dieser Stelle bereits seit Jahren vermutet, doch war sie unter Schutt und einer Betonschicht verborgen. »Dass die Mikwe mit den gemauerten Wänden und dem gelegten Fußboden so gut erhalten ist, hat mich doch überrascht«, sagt Henry Gawlick. Womit der Leiter des Hagenowers Heimatmuseum aber nicht gerechnet hatte, ist das rund 50 Zentimeter breite Loch in einer Ecke des Fußbodens. Hier ist ein Fass eingelassen, in dem das Wasser fast einen halben Meter hoch steht. Da es ansonsten keinen Wasserzulauf gibt, geht Henry Gawlick davon aus, dass diese Mikwe mit Grundwasser gefüllt wurde.
Auch Landesrabbiner William Wolff zeigte sich erfreut: »Dieser Fund ist für die jüdische Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern von großem historischen Wert«, sagte Wolff. Die Gemeinde wolle sich mit der Stadt Hagenow in Verbindung setzen.
Seit wann es die Mikwe in Hagenow gibt, kann Museumsleiter Henry Gawlick nicht genau sagen. Allerdings verweist er auf ein Zitat von 1856, in dem es heißt, »so lange wir hier als Gemeinde da sind, haben wir ein Bad«. 1828 hatten die rund 100 in Hagenow lebenden Juden ihre Synagoge geweiht, gemeinsam mit Schule und einem Wagenschauer überdauerte das Fachwerkensemble die Jahrzehnte. Da im 19. Jahrhundert die jüdische Gemeinschaft durch Wegzug und Sterbefälle immer kleiner wurde, konnten seit 1907 bereits keine Gottesdienste mehr gefeiert werden. Während der Pogromnacht im November 1938 wurde die Inneneinrichtung demoliert, das Gebäude blieb erhalten und diente nach dem Zweiten Weltkrieg als Büro und Lager unter anderem für eine Puddingfabrik, eine Bäckereigenossenschaft und die Hagenower Kreisbibliothek.
Im vergangenen September konnte die ehemalige Synagoge als neues Kulturzentrum der Kleinstadt nach umfangreicher Sanierung eingeweiht werden. Als einziges Gebäude des Ensembles wartet nun noch das Vorderhaus – die ehemalige Religionsschule – auf den Umbau. Bis 2009 soll auch die Mikwe so wiederhergestellt werden, wie sie sich im 19. Jahrhundert präsentierte. Ob eine Treppe eingebaut wird, die es damals offenbar gab, darüber muss noch entschieden werden. Gawlick möchte die Mikwe so originalgetreu wie möglich den künftigen Museumsbesuchern zeigen.