von Thomas Künzl
Willmars ist ein Idyll. Direkt an der Landesgrenze zwischen Thüringen und Bayern, im Landkreis Rhön-Grabfeld, liegt es in einer sanften Talsenke. Hier ticken die Uhren noch etwas langsamer. Eine Gegend, in der man gerne Urlaub macht.
Doch seit gut einem Jahr hängt der Haussegen schief. Stein des Anstoßes ist ein geplanter Schweinemaststall. Dieser soll am Ortsrand von Willmars, auf dem Gebiet der Nachbargemeinde Neustädles errichtet werden. Viele Gründe sprechen gegen den Betrieb an dieser Stelle. Da ist das Trinkwasser, aus dem der Öko-Trunk »Bionade« hergestellt wird. Außerdem liegt der Ort Willmars genau in der Windrichtung, so dass er den Geruch von Schweinegülle unweigerlich abbekommen würde.
Ein Hauptgrund gegen den Betrieb liegt aber in dem alten jüdischen Friedhof, der dem geplanten Mastbetrieb direkt gegenüberliegt. Seit 1727 wurde hier beerdigt. Der neuere Teil des Friedhofs wurde bis zum Beginn der Schoa benutzt. Etwas von Bäumen versteckt liegt der ältere Teil. Betritt man dieses kleine Wäldchen, fühlt man sich wie in einer Zauberwelt. Durch die alten Bäume scheint die Sonne nur teilweise hindurch, zwischen Stämmen liegen die Grabsteine. Im 18. Jahrhundert errichtete die jüdische Gemeinde auch eine Schule.
Der Ort Willmars hat somit eine reiche jüdische Vergangenheit, die 1933 ihr jähes Ende fand. Ehrenamtlicher Ortsbürgermeister ist Reimund Voß (45), ein Jurist, der aus Westfalen zugezogen ist. Voß erzählt von seinem jüdischen Amtsvorgänger Callmann Homme, der ein hoch angesehener Bürger Willmars war. Vom jüdischen Leben zeugt heute noch die alte Synagoge. Ein stolzes Gebäude, das den ganzen Bürgersinn der hier lebenden Juden dokumentiert.
Den heutigen Bürgern nimmt man ihren Einsatz für den jüdischen Friedhof ab. Seit Jahren stellt die Gemeinde Nordheim einen Arbeiter zur Pflege ab – der Friedhof ist in einem sehr guten Zustand. Altbürgermeister Gerhard Schätzlein aus Willmars hat eine Dokumentation zum Friedhof und zur jüdischen Ortsgemeinde geschrieben. Manchmal kommen Nachfahren von Willmarser Juden, um auf dem Friedhof ihre Verwandten zu suchen. Es wären schon Angehörige aus Großbritannien, Australien, USA, Schweden und Israel dagewesen, erzählt Schätzlein.
Im Oktober 2007 hatte das Landratsamt in Bad Neustadt beschieden, dass der »Neubau eines Schweinestalles mit Güllegruben« gegenüber dem jüdischen Friedhof erlaubt sei. Ungefähr 100 Meter beträgt der Abstand zwischen Stall und Friedhof. Die amtliche Richtlinie schreibt einen Abstand zur Wohnbebauung vom mindesten 380 Metern vor. Hinzukommt, dass der Friedhof genau in der Hauptwindrichtung zum Schweinestall liegt. Angehörige würden künftig ihrer Toten gedenken während Güllegeruch hinüberweht, begleitet vom Grunzen von 1.500 Schweinen.
»Zum Schutz des angrenzenden Waldes« hat das Landratsamt den Abstand zum Friedhof sogar noch verringert. Wegen der Einbringung von Ammoniak sei der »Maststall mit Güllegruben so weit wie möglich im nordöstlichen Grundstücksbereich anzuordnen«, heißt es. Die Gemeinde Willmars ist gegen den Bau des Stalles und hat ein Ersatzgrundstück angeboten. Auch die Nachbargemeinde ist gegen den Maststall. Das bayerische Landesamt für Denkmalpflege sagt »Nein« und fordert zumindest einen größeren Abstand zum Friedhof. Generalkonservator Egon Johannes Greipl spricht von einem »unglücklich gewählten Grundstück«. Selbst Staatsministerin a. D. Hildegard Hamm-Brücher schreibt: »Ich bin überzeugt, dass die Belange und Empfindlichkeiten der israelitischen Religionsgemeinschaft berührt und verletzt werden.«
Gegen die Entscheidungsträger hat sich nun eine Klägerfront gebildet. Zu ihr gehören die örtlich betroffenen Gemeinden Willmars und Nordheim, der Wasserzweckverband »Willmarser Gruppe« und ein Waldeigentümer. Dieser Klage angeschlossen hat sich der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern. Deren Präsident Josef Schuster spricht im Zusammenhang mit dem geplanten Maststallbau von einem »Affront«.