von Carsten Hueck
Einst verbrachte der römische Dichter Ovid dort sein Exil. 1939 zog auch Else Schrobsdorff mit ihren zwei Töchtern Bettina und Angelika nach Bulgarien. Eine befreundete Ärztin stammte aus dem Balkanland und half, die Emigration der jüdischen Mutter und ihrer Töchter nach Sofia zu organisieren. Eine Ehe mit einem Bulgaren wurde arrangiert, die drei Frauen so dem Zugriff der Nazis entzogen.
Angelika Schrobsdorff, die im Dezember ihren achtzigsten Geburtstag feiert, ist die Hauptfigur in Christo Bakalskis Dokumentarfilm Ausgerechnet Bulgarien. Vor zehn Jahren hatte der Regisseur zum ersten Mal ein Buch von ihr gelesen. Ihm fiel ihr starker Bezug zu Bulgarien auf, die Zerrissenheit ihrer Familie, das Schwanken zwischen mehreren Ländern. Bakalski kannte das. 1953 in Sofia geboren, hat er in Leipzig studiert, gründete eine Filmfirma, war in Berlin Leiter des Bulgarischen Kulturinstituts. Gerade hat er wieder mit seiner Familie den Umzug nach Sofia organisiert.
Ausgerechnet Bulgarien gibt in gut eineinhalb Stunden einen sehr persönlichen Einblick in die Schrobsdorffsche Familiengeschichte. Zwischen Schwarzem Meer und Potsdamer Platz gibt Bakalski der Schriftstellerin und ihren Angehörigen den Raum, den sie brauchen, um sich über ihre unterschiedlichen Viten und ihr Verhältnis zueinander klar zu werden. Der Film kommt ohne Kommentartext aus. Fast immer ist der O-Ton deutsch – auch bei den Szenen in Bulgarien. Die ruhige, aufmerksame Kameraführung von Rali Raltschev und Anton Bakarski bestimmt Tempo und Atmosphäre des Films. Wie ein stiller, aufmerk- samer Begleiter zeichnet die Kamera auf, wie sich die Protagonisten bewegen und was sie bewegt. Sie reflektieren im einen Moment die Brüche in ihren Biografien und stellen im nächsten Augenblick fest, dass ein 15 Jahre alter Birnenbrand früher doch irgendwie schärfer geschmeckt hat. Der Zuschauer sitzt in diesem intimen Film mit am Wohnzimmer tisch, ohne zum Voyeur zu werden. Auch wenn Bakalski den Blick auf Schwächen seiner Protagonisten freigibt, denunziert er sie niemals.
In Berlin beginnt und endet der Film: Vor dem Anhalter Bahnhof ist Angelika Schrobsdorff mit ihrer Nichte, der Ärztin Evelina Stanischeff, auf Spurensuche. Von hier brachen einst die diversen Familienmitglieder auf – die einen in die Freiheit, in die Fremde, andere in den Tod. Im Grunewald betrachten die beiden Frauen von der Straße aus Schrobsdorffs herrschaftliches Elternhaus. Die Autorin, erst vor kurzem von Jerusalem nach Berlin gezogen, berichtet, dass sie in dem Haus eine Wohnung hätte kaufen können. Sie hat es nicht getan. Sie sei nur nach Berlin zurückgezogen, sagt, sie, »um bequemer zu sterben«.
Das klingt morbide. Doch davon ist im Film nichts zu spüren. Hell sind seine Bilder. Angelika Schrobsdorff ist eine starke Persönlichkeit, eine schöne Frau mit charismatischer Ausstrahlung, intelligent und elegant, jünger als manche Dreißigjährige. Eine Frau mit Charakter, die so stilvoll raucht, dass man allein deswegen schon die Zigarettenwerbung wieder einführen möchte.
Christo Bakalskis Film dokumentiert Aspekte einer privaten Familiengeschichte mit politischer Dimension. Dabei ist ein respektvolles Porträt Angelika Schrobsdorffs und ihrer Verwandten entstanden. Man spürt die Freundschaft zwischen ihnen und dem Filmemacher, ebenso die andauernde Verbundenheit Schrobsdorffs mit Bulgarien, dem fremden Land, das ihr weit mehr als ein Exil war. Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit habe sie dort gelernt, sagt die Schriftstellerin, in Berlin wäre sie wohl bloß eine höhere Tochter geworden.