von harald neuber
Jürgen Kamm ist Antifaschist. Mit dem Verkauf von T-Shirts, Buttons und Fahnen mit Anti-Nazi-Symbolen will er den Widerstand gegen Rechtsextreme fördern. Das gab der 32jährige Familienvater vor der 18. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichtes an, von dem er am Freitag vorletzter Woche als Angeklagter vorgeladen war.
Der Punk und Gründer des Versandhandels »Nix Gut« mit Sitz in Winnenden bei Stuttgart mußte sich wegen »Verbreitung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen« verantworten. Denn auch durchgestrichene oder zerschlagene Hakenkreuze wie sie in der antifaschistischen Szene üblich sind, unterliefen die »grundsätzliche Tabuisierung« dieses Symbols. Kamm wurde zu einer Geldstrafe von 3.600 Euro verurteilt, die Staatsanwaltschaft hatte eine Strafe von 6.000 Euro gefordert. Dabei geht es Kamm nach eigenen Angaben nicht um das Geschäft – die beanstandeten Artikel machten gerade zehn Prozent seines Umsatzes aus –, sondern um das politische Prinzip. Beide Seiten wollen mit dem Bundesgerichtshof nun die nächsthöhere Instanz anrufen.
Ursache für die Ermittlungen war die Anzeige einer Mutter aus dem Allgäu. Sie hatte im Zimmer ihres Sohnes den Katalog von Kamms Versandhandel gefunden und war entsetzt über die Fülle von Hakenkreuzen, selbst wenn sie zerschlagen oder durchgestrichen waren. Mit ihrer Anzeige brachte sie einen juristisch und politisch paradoxen Streit in Gang: Ein Antifaschist wurde wegen des Verbreitens von Hakenkreuzen vor Gericht gestellt und nach Paragraph 86a des Strafgesetzbuches verurteilt. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer »Kennzeichen einer der in Paragraph 86 Abs.1 Nr.1, 2 und 4 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich (...) verwendet oder Gegenstände, die derartige Kennzeichen darstellen oder enthalten, zur Verbreitung oder Verwendung (...) in der (...) bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt«.
Eben dies sah der Vorsitzende Richter Wolfgang Küllmer als gegeben an. Die veränderten Hakenkreuze seien dem Original »erkennbar nachgebildet«, so Küllmer, selbst wenn sie »uneindeutig« gegen Neonazis gerichtet seien. Für Debatten sorgte aber vor allem die Abwägung zwischen strafrechtlichem Verbot und Grundrechten: »Hier ist die Gefahr des Gewöhnungseffektes derart groß, daß die Meinungsfreiheit zurücktreten muß«, hieß es in der mündlichen Begründung.
Während die Abstufung des Grundrechtes der Meinungsfreiheit von Juristen kritisiert wurde, liefen Vertreter politischer Parteien gegen das Urteil Sturm. Grünen-Chefin Claudia Roth warf dem Landgericht Stuttgart einen »rechtsblinden Autismus« vor, Parteikollege Volker Beck sprach von einem »Schildbürgerstreich der Justiz«. Ähnliche Stimmen kamen aus der SPD und anderen Parteien.
Der für politische Delikte zuständige Berliner Oberstaatsanwalt Jörg Raupach hat eine strafrechtliche Verfolgung vom Nazisymbolen in Berlin bereits ausgeschlossen. Man erwartet, daß das Urteil vom Bundesgerichtshof revidiert wird.