von Friedemann Düring
Zum ersten Mal in seinem Leben darf der 8jährige Sascha eine Kerze auf der Chanukkia anzünden. Andächtig, aber auch etwas unsicher führt er die kleine Kerze an den Leuchter heran: ein großer Moment für Sascha. Zusammen mit seinen Eltern ist er erst vor vier Wochen aus Rußland nach Deutschland übergesiedelt. Erstmals besucht er zum Chanukka-Fest die moderne Chemnitzer Synagoge an der Stollberger Straße.
Hier bemüht man sich sehr um die Neuankömmlinge aus Osteuropa. »Wir versuchen, ihnen bei Behördengängen und finanziellen Dingen zu helfen und sie in die Gemeinde zu integrieren«, sagt Sozialarbeiterin Birgit Worm. Doch das ist gar nicht so einfach. »Das größte Problem ist die Sprache. Die meisten sprechen kein Wort Deutsch«, ergänzt Luna Loutchinskaja, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Chemnitz. Damit seien soziale Probleme für die meisten Zuwanderer vorprogrammiert. Dreimal in der Woche bietet die Ge-meinde deshalb Sprachkurse an.
Luna Loutchinskaja kennt die Schwierigkeiten. Vor acht Jahren kam sie nach Deutschland, ebenfalls, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. »Es war schwer. Ohne die Hilfe der Gemeinde wäre es nicht gegangen.« Es war ihre Idee, Chanukka mit den Zuwanderern aus Rußland und der Ukraine in der Synagoge zu feiern. Knapp 50 Menschen aller Altersgruppen folgten der Einladung. Sie sind – wie der 68jährige Wladimir – jüdischer Herkunft, haben aber ihre Religion nie praktiziert. »Ich will mir das alles mal anschauen«, sagt er noch etwas skeptisch. Ob er wiederkommt, wisse er noch nicht. »Vielleicht.«
Die Religionspädagogin Ruth Röcher holt deshalb weit aus, um den neuen Gemeindemitgliedern Chanukka zu erklären. So hören die meisten von ihnen zum ersten Mal die Geschichte vom Aufstand der Makkabäer und die Legende vom reinen Öl, das trotz der geringen Menge noch acht Tage brannte. Ruth Röcher versucht dabei, den Bogen zur Situation der jüdischen Einwanderer zu spannen und erklärt: »Die damaligen Machthaber haben versucht, Juden vom Glauben abzubringen. Die Idee dahinter ist: Wer seine Wurzeln nicht kennt, kann schnell abgelenkt werden«, sagt die Pädagogin. Jeder Mensch müsse so sein können, wie er ist. »Wir müssen nicht alle gleich sein«, wirbt Ruth Röcher für Toleranz gegenüber anderen Strömungen. »Die Chemnitzer Gemeinde ist ihrer Tradition nach liberal geprägt«, erklärt Ruth Röcher. »Viele Einwanderer orientieren sich aber an der Orthodoxie nach dem Motto, wenn schon Jude, dann auch richtig.«
Der Wandlungsprozeß, den die Gemeinde derzeit mitmache, sei enorm. 1989 hatte die Chemnitzer Gemeinde 13 Mitglieder, alle über 60 Jahre alt. Heute sind es weit über 600. Der Religionsunterricht für Jugendliche erfreue sich wachsender Beliebtheit. Sorgen bereiten der Gemeinde eher die aggressiven Missionsversuche freier evangelischer Gemeinden. »Die freien Gemeinden versuchen, die fehlende Orientierung vieler jüdischer Einwanderer für sich zu nutzen«, erklärt Religionspädagogin Ruth Röcher. »Wir haben schon einige auf diese Weise verloren.« Die gemeinsame Chanukka-Feier soll dieser Tendenz entgegenwirken.