von Eva C. Schweitzer
Rabbi Arthur Schneier hat ein bewegtes Leben geführt. Der 78-jährige gebürtige Wiener musste mit neun Jahren vor den Nazis fliehen, er ging mit seiner Mutter nach Budapest. Aber bald holte Adolf Eichmann die Familie ein. Der Obersturmbannführer aus Linz ließ 400.000 ungarischen Juden nach Auschwitz deportieren, dort wurden drei von Schneiers Großeltern ermordet. »Kurz vor Kriegsende dachte ich, auch ich werde sterben«, sagt Schneier. Aber er überlebte; 1947 gelangte er nach Amerika.
Heute ist er der spirituelle Führer der Park East Synagoge an der Upper East Side in Manhattan, und vergangene Woche hatte er einen prominenten Gast: Papst Benedikt XVI., der Washington und New York besuchte. Es war das erste Mal, dass ein Papst eine Synagoge in Amerika betrat, und das in einer aufregenden Zeit: Sehr präsent ist noch der Streit über die traditionelle Karfreitagsmesse, die Benedikt XVI. wieder zugelassen hatte und in der es heißt, Gott möge »die Herzen der Juden erleuchten, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen«.
Das allerdings erinnerte viele jüdische Vertreter an antijüdische Formulierungen, die früher Bestandteil des Karfreitagsgebets waren, überdies wurden diese Worte als Missionierungsversuch aufgefasst.
Und so traf sich Benedikt XVI. nicht nur mit Rabbi Schneier am Vorabend von Pessach, sondern vorher auch mit mehreren amerikanischen Leitern der jüdischen Gemeinde, darunter Abraham Foxman, dem Direktor der Anti-Defamation-League. Und der zeigte sich nach dem Treffen angetan von der Dialogbereitschaft des Pontifex. »Der Papst kann zuhören, wenn wir sprechen, das finde ich gut«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen. »Er hat uns klar gemacht, dass mit der Formulierung nicht gemeint ist, Juden sollten heutzutage missioniert werden, es geht darum, dass wir am Ende aller Zeiten den Christengott erkennen sollen.« Damit, so Foxman, könne er leben, denn auch die Juden glaubten, es werde irgendwann das Ende aller Zeiten geben und dann werde der Messias kommen. Ohnehin sei es dem Papst bei der lateinischen Messe eher darum gegangen, Katholiken, vor allem die konservativen Anhänger des verstorbenen Erzbischofs Marcel-François Lefebvre, mit Rom zu versöhnen, als um Vertreter anderer Religionen, auch das sei in dem Gespräch klar geworden. »Der Papst hat uns auch gesagt, wir sind die älteren Brüder der Christen, und er hat Israel als jüdischen Staat anerkannt«, sagte Foxman. »Und dass er eine Synagoge besucht, ist ohnehin ein Zeichen des Dialogs.«
Auch Schneier, der schon lange den christlich-jüdischen Dialog führt – bereits in den 60er-Jahren traf er sich mit Papst Paul VI. –, sieht den Besuch von Benedikt XVI. mit Freude. Er begrüßte den Pontifex mit »Grüß Gott«, dieser den Rabbi mit »Schalom«, und sie tauschten Geschenke aus: Der Papst bekam eine silberne Sederschale, eine Haggada und einen Karton Matzot. Und der Rabbi erhielt die Kopie einer antiken hebräischen Schrift aus dem Vatikan. Dass der frühere Kardinal Josef Ratzinger als 14-Jähriger in der Hitlerjugend war und danach für die Wehrmacht verpflichtet wurde, ist für Schneier eher eine Verbindung denn ein Problem. »Wir haben beide die Verwüstungen des Krieges erlebt, den Holocaust, Hunger, Gefahr und Tod«, sagte der Rabbi. »Aber wir haben auch die Freiheit erlebt. Und wir haben beide daraus die Lehre gezogen, so etwas darf nie wieder geschehen.« Aber von der Geschichte dürfe man sich nicht paralysieren lassen. »Für mich ist es das Leben, heute meine Enkelkinder zu sehen.«
Und nicht nur seine. Gleich mehrere Kinder nahmen am Pessachgottesdienst teil, darunter der neunjährige Sharoni, der es »sehr beeindruckend« fand, dass der Papst mit ihm gesprochen hat. »Wenn mir das früher jemand prophezeit hätte, ich hätte es nicht geglaubt.« Auch prominente Erwachsene waren gekommen, darunter Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, James Wolfensohn, der frühere Vorsitzende der Weltbank, der israelische Generalkonsul Asaf Shariv und Ed Koch, der frühere Bürgermeister von New York.
Und noch einen anderen prominenten jüdischen Bewunderer hat Benedikt XVI.: Michael Bloomberg. Der heutige New Yorker Bürgermeister verbrachte praktisch die ganze Woche mit dem Papst; er holte Benedikt XVI. vom Flughafen ab, frühstückte mit ihm, besuchte mit ihm Ground Zero und das Yankee Stadium und nahm auch an der Messe in der St. Patrick’s Cathedral teil, die der Papst gelesen hatte. Dort bedankte sich Reverend Michael Sullivan, der Hausherr der Kathedrale, bei Bloomberg, der so viel tue, um den Besuch des Papstes angenehm zu gestalten. Und Bloomberg wiederum pries die religiöse Toleranz von New York, wo »ein Junge aus der Mittelschicht einmal den Papst empfangen kann«.