von Johannes Boie
»Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft! Zeichen gegen Antisemitismus!« fordert der Berliner Landesverband der Grünen im Moment prominent auf seiner Website. Klingt gut, ist bestimmt auch gut gemeint. Doch ob diese Forderung schon im Grünen-Kreisverband Steglitz-Zehlen-
dorf angekommen ist, darf bezweifelt werden.
Jahrelang hatte man sich dort für eine Umbenennung der Treitschkestraße stark gemacht. Die Seitenstraße der Schloßstraße ist nach Heinrich von Treitschke be-
nannt, der als antisemitischer Vordenker der Nationalsozialisten bekannt ist. Von ihm stammt der Satz »Die Juden sind un-
ser Unglück«, der zum Slogan des Zentralorgans der Nationalsozialisten – dem »Stürmer« – wurde.
»Noch vor der Wende wollten die Grünen die Straße schon umbenennen«, er-
innert sich Hans-Peter Stadtmüller, Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion der SPD. Später habe man sich bei den Grünen zusammen mit der SPD für die Umbenennung eingesetzt. Das Vorhaben sei jahrelang von der CDU blockiert worden.
Seit November nun besteht in Steglitz-Zehlendorf eine Zählgemeinschaft zwischen CDU und Grünen. Und plötzlich musste die SPD bei ihren einstigen Mitstreitern einen Gesinnungswandel feststellen: »Die Grünen setzen sich nicht weiter für eine Umbenennung ein«, heißt es in einer von der SPD verbreiteten Pressemitteilung. Bei der SPD vermutet man eine Absprache in der schwarz-grünen Partnerschaft, die den Grünen mehr Geld zur Jugendarbeit zugestehen soll. Im Gegenzug würde die Debatte um Treitschke zurückgestellt werden. »Das hätten wir den Grünen nie zugetraut«, ärgert sich SPD-Sprecher Stadtmüller. Sein Chef, der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Berliner SPD, Michael Müller, findet besonders bemerkenswert, »dass es von der Landes- und Fraktionsspitze der Berliner Grünen dazu überhaupt keine Stellungnahme gibt«.
Die Grünen in Zehlendorf streiten den Kurswechsel ab. »Die Umbenennung bleibt unser Ziel«, erklärt die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Steglitz-Zehlendorf, Irmgard Franke-Dressler. Daran gebe es »nichts zu rütteln«. Die Realität sieht anders aus: Im von ihr unterzeichneten Zählgemeinschaftsvertrag ist lediglich die Rede von »Tafeln, die eine Auseinandersetzung der Passanten mit der Benennung ermöglichen«. Von einer Umbenennung der Straße ist in dem Dokument keine Rede. Vielmehr möchte man im Rahmen einer Arbeitsgruppe »den Bezirksverordneten der IV. Wahlperiode eine Grundlage für ihr Handeln geben«. Die neue Legislaturperiode beginnt 2011.
Gemeinsam mit dem CDU-Kreisvorsitzenden Michael Braun befürwortet Franke-Dressler mittlerweile eine »dauerhafte Auseinandersetzung mit der Person Treitsch-
ke«. Für CDU-Mann Michael Braun wäre die Umbenennung der Straße eine »Entsorgung von Geschichte«. Aus seiner Partei kam der Vorschlag, über »die Straße, ihren Namensgeber und die Debatte um ihn« auf großen Schildern zu informieren. Dass die Benennung einer Straße immer auch eine Ehrung für die namengebende Person ist, will Braun nicht erkennen. »Und selbst wenn – dann geschah die Ehrung ja früher und nicht heute.« Darüberhinaus sei Treitschke auch ein »großer Historiker« ge-
wesen. In Richtung der SPD, die den Stein ins Rollen brachte, bemerkte Braun gegenüber der Jüdischen Allgemeinen, »dort würde man sich auch nicht so vehement für eine Umbenennung einsetzen, wenn man nicht in der Opposition wäre.«