Lehrer

Große Pause

von Wladimir Struminski

In Israel findet einer der seltsamsten Streiks in der Geschichte des Landes statt. Schon seit sechs Wochen befinden sich die Gymnasial- und Mittelstufenlehrer im Ausstand. Verhandlungen mit dem Arbeitgeber – Israels Regierung – haben bisher kein greifbares Ergebnis gebracht. So vertrödeln 600.000 Schüler einen Schultag nach dem anderen. Die Einkaufszentren bersten vor gelangweilter Jugend. Bestreikte Kinder, die den Einkaufsbummel satt haben, surfen endlos im weltweiten Netz. Der Schaden für das ohnehin angeschlagene Erziehungswesen ist enorm.
Ein Ende des Arbeitskampfes ist nicht in Sicht. Am Montag dieser Woche erklärten Finanzminister Roni Bar-On und Er-
ziehungsministerin Juli Tamir die bis jetzt ergebnislosen Verhandlungen für gescheitert und kündigten eine Klage vor dem Arbeitsgericht an.
Dikla, Geschäftsfrau und Mutter des Elftklässlers Alon aus Petach Tikwa, ist verzweifelt. Die Jerusalemer Putzfrau Chaja macht sich sogar existenzielle Sorgen um ihre Tochter: »Wie soll Ilana im Sommer ihr Abitur schaffen?« Allerdings zürnen die beiden Mütter nicht den Streikenden. »Die Lehrer haben hundertprozentig recht«, glaubt Dikla. »Ich kann sie verstehen«, räumt Chaja ein. Mit ihrem Verständnis sind die beiden Mütter nicht allein. Vor anderthalb Wochen demonstrier-
ten in Tel Aviv mehr als 100.000 Menschen für die streikenden Lehrer. Ein Großteil von ihnen waren Eltern. In anderen Städten fanden unter dem Motto »Eltern für Lehrer« Solidaritätswachen statt. In dieser Wo-
che gingen Gymnasialschüler vor dem Haus der Erziehungsministerin für ihre Lehrer auf die Straße.
Eine Kernforderung der Erzieher ist Geld. Nach Vorstellungen der Streikführer sollen die Lehrergehälter um bis zu 100 Prozent aufgestockt werden. »Ich weiß, das hört sich völlig übertrieben an«, sagt Anat, Hebräischlehrerin aus Maale Adumim bei Jerusalem, »aber Lehrer verdienen einen Hungerlohn.« Nach Angaben der Gewerkschaft der Lehrer an weiterführenden Schulen kommt ein Berufsanfänger auf knapp 3.000 Schekel brutto, das sind umgerechnet 550 Euro im Monat. Reich werden aber auch alte Hasen nicht. »Nach 30 Jahren Berufserfahrung bekomme ich monatlich sage und schreibe 8.000 Schekel«, klagt Anat – 1.400 Euro.
»Es steht außer Zweifel, dass die Lehrergehälter erhöht werden müssen«, sagt Professor Yuval Dror, Leiter der Schule für Erziehungswissenschaft an der Universität Tel Aviv. Das, so der Experte, sei nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern eine Voraussetzung für bessere Schulen. »Bei den heutigen Gehältern«, weiß Dror, »wählen junge Leute, die talentierte Erzieher werden könnten, einen anderen Be-
ruf.« Dass Lehrer besser entlohnt werden müssen, gibt sogar die Regierung zu. Zu-
nächst, so Finanzminister Roni Bar-On, wäre das Kabinett bereit, den Lehrern ein Gehaltsplus von durchschnittlich 26 Prozent zuzugestehen. Allerdings fordert der Staat, die Lohnerhöhung in eine umfassendere Reform des Erziehungswesens einzubinden. Bei dieser müsse nicht zuletzt die Zahl der Unterrichtsstunden erhöht werden.
Letzteres wollen auch die Lehrer, doch sind sie nicht bereit, sich ohne eine kräftige Vorauszahlung des Staates auf ein Ende des Streiks festzulegen. »Wir haben einfach Angst«, erklärt Anat, »dass uns die Regierung austrickst.« Vielleicht nicht ganz ohne Grund: In Israel sind bereits mehrere Anläufe zu einer Schulreform gescheitert. So wollen die Lehrer jetzt einen Reformfahrplan, der Hand und Fuß hat. Ihrerseits verweisen Regierungsvertreter auf finanzielle Grenzen der Reformfähigkeit. Eine von den Lehrern geforderte Verkleinerung der heute mit bis zu 40 Schülern überdimensionierten Klassen würde, rechnete das Finanzministerium vor, drei Milliarden Schekel pro Jahr kosten. Das aber sei zu teuer. Oder auch nicht. »Haushaltspolitik«, so Fachmann Dror gegenüber der Jüdischen Allgemeinen, »ist stets die Setzung von Prioritäten«. Leider sei die Regierung Jitzchak Rabins – sie führte die Staatsgeschäfte in den Jahren 1992 bis 1995 – die letzte gewesen, die der Erziehung die angemessene Bedeutung zuerkannt habe.
Das ist ein entscheidender Grund für die breite öffentliche Zustimmung, die die Lehrer bei ihrer Arbeitsniederlegung er-
fahren: Angesichts der Misere des Erziehungswesens empfinden immer mehr Is-
raelis Angst um die Zukunft ihres Landes. Das gilt nicht nur für die Schulen, sondern auch für die Universitäten, deren Dozenten ebenfalls seit Wochen für mehr Geld, mehr Forschung und bessere Lehre streiken. Selbst Israels technologische Erfolge und damit der Grundstein des israelischen Wirtschaftswunders scheinen vom Zerfall bedroht zu sein. Nach dem jüngsten Jahresbericht des Weltwirtschaftsforums nimmt Israel bei der Qualität der wissenschaftlichen Erziehung international nur noch Rang 31 ein. Auch die Landessicherheit leidet: Forschung und Entwicklung gehören zu den Stützen der Militärmacht. In ihrer Verzweiflung bat eine Gruppe be-
troffener Eltern jetzt Präsident Schimon Peres, auf ein Ende des Streiks hinzuwirken. Eine Einmischung des Staatsoberhaupts, erklärte er, wäre nur dann möglich, wenn auch die Regierung darum ersucht.

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