von Wladimir Struminski
Die tagelangen Kämpfe zwischen der schiitischen Hisbollah und den Anhängern der pro-westlichen Regierung Libanons sind abgeebbt. In der Hauptstadt Beirut scheint sich die Lage zu beruhigen. Hisbollah-Einheiten haben sich aus den eroberten Stadtteilen zurückgezogen – zumindest sind ihre Sturmgewehre wieder im Kofferraum verstaut. Die Armee patrouilliert mit Truppentransportern in den Straßen.
Zwar ist die Lage im Norden des Landes noch gespannt, doch die Armeeführung ist sich sicher, dass die Ruhe wieder hergestellt werden könne. Hat der Libanon eine weitere Runde sinnloser Gewalt hinter sich gebracht, die Tote und Verwüstungen nach sich zogen, aber keine langfristigen Folgen haben wird? Keineswegs. Die jüngsten Ereignisse sind ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Verwandlung des Landes in einen vom Iran beherrschten islamistischen Staat.
»Die Hisbollah hat gezeigt, dass sie der Herr im Haus ist«, glaubt Mordechai Kedar, Experte für islamische Bewegungen an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan. Unter dem Druck der schiitischen Miliz, so der israelische Experte, hat die Beiruter Regierung von Premier Fuad Siniora zwei Entscheidungen rückgängig gemacht, die der Hisbollah gegen den Strich gegangen waren: die Forderung des Kabinetts, das vom Iran errichtete Fernmeldenetz der Hisbollah im Süden des Landes abzubauen sowie die Absetzung des Sicherheitschefs des Beiruter Flughafens, General Wafik Schukeir, der der Hisbollah nahestehen soll.
Diese Entscheidungen gelten nicht mehr. Nachdem die Hisbollah in der vergangenen Woche wirkungsvoll mit dem Säbel gerasselt hat, darf Schukeir im Amt bleiben. Zugleich sagte die Armee zu, das Telekommunikationsnetz der Hisbollah pfleglich zu behandeln, nämlich so, »dass die Sicherheit des Widerstandes«, also der Schiitenmiliz, »nicht gefährdet wird«.
Damit, so Mordechai Kedar, hat die Hisbollah jedoch nur ein erstes Nahziel erreicht. Im nächsten Schritt strebe sie das Vetorecht gegen Regierungsbeschlüsse und als längerfristiges Ziel die Machtübernahme im Libanon an. Dabei spielten ihr zwei Faktoren in die Hände. Zum einen nimmt der Bevölkerungsanteil der Schiiten dank hoher Geburtenraten und der massiven Auswanderung vor allem der Christen ständig zu. Zum anderen stoße die Allianz zwischen dem Iran und der Hisbollah in ihrem Kampf um die Herrschaft im Libanon nicht auf ausreichend Gegenwehr.
Unter diesen Umständen schließen sich der Hisbollah immer mehr Gruppierungen an, um nach dem erwarteten Regimewechsel auf der Siegerseite zu stehen. Zu ihnen gehört beispielsweise die libanesische Syrische Volkspartei, die das Land als einen Teil Syriens betrachtet. Und dazu zählt auch der christliche General Michel Aoun, der in der Vergangenheit gegen jegliche ausländische Einmischung gekämpft hat. Falls die freie Welt dem Iran nicht Einhalt gebiete, sei die Entstehung eines libanesischen Ajatollah-Staates nur eine Frage der Zeit, sagt Mordechai Kedar.
Davor hat Israel Angst. »Eine Situation, in der der Iran auf der anderen Seite der Grenze steht und den Libanon kontrolliert, ist äußerst gefährlich«, warnt Innenminister Meir Schitrit. Dennoch kann Jerusalem wenig ausrichten. Ein israelischer Einmarsch ins Nachbarland würde alle libanesischen Kräfte gegen den »zionistischen Feind« einen.
Daher macht Ministerpräsident Ehud Olmert deutlich, dass Israel sich in den libanesischen Konflikt nicht einmischen wolle. Unterdessen erklärte US-Präsident George W. Bush am Montag: »Die Vereinigten Staaten werden die libanesische Regierung weiterhin entschlossen unterstützen.« Was damit gemeint ist, muss sich zeigen.