Paul Parin war ein Stück k.u.k.-Österreich mitten im helvetisch-nüchternen Zürich, aber auch eine Art »Erste Adresse der Psychoanalyse« in der Schweiz. Paul Parin war ein Mensch im Grenzbereich – zunächst im geografischen Sinn: 1916 in der Südsteiermark, dem heutigen Slowenien, am äußersten Rand der Donaumonarchie geboren, wuchs er in einer großbürgerlichen Familie auf einem Schloss auf. Er hatte keine Spielkameraden in seiner Nähe – vielleicht ein Grund dafür, dass er es später zu einem meisterhaften Erzähler sowohl im literarischen Sinn als auch im kleinen Kreis als Schilderer von Anekdoten bringen sollte. »Parin kam auch mit einer Geschichte heim, wenn er bloß mal schnell losging, um Zigaretten am Kiosk um die Ecke zu kaufen«, erinnert sich einer seiner Freunde, der Schriftsteller Urs Widmer. In Graz erlebte der junge Paul eher tragischen Stoff als Rohmaterial für seine Erzählungen: »Ich geriet in eine hochgradige Nazi-Klasse, auch die Lehrer waren Nazis«, berichtete er später. Dies mag ihn, der sich seines Judentums wohl bewusst war, der es aber nicht vor sich hertrug, überrascht, dann aber desillusioniert haben. Parins Vater – eine schillernde Persönlichkeit, der sowohl Gutsbesitzer als auch Großwildjäger und Ballonfah- rer war, hatte sich schon 1899 in der Schweiz einbürgern lassen. Und so gelang Paul 1938 nach der Reichspogromnacht die Ausreise in die neutrale Schweiz.
In Zürich, wo Parin Medizin studierte und 1943 mit der Promotion abschloss, traf sich bald eine nonkonformistische »Bruder- und Schwesterhorde«, wie er es später lakonisch nannte, die nach Möglichkeiten suchte, die braunen Unmenschen zu bekämpfen. Auch hier überschritt Paul Parin eine Grenze – jene zwischen Theorie und Praxis: Er entschloss sich, zusammen mit seiner Frau Goldy, mit der er seit 1939 verheiratet war, nach Jugoslawien zu reisen, wo sie sich als medizinische Betreuer den Partisanen anschlossen. Unter dem Titel Es ist Krieg und wir gehen hin hat er später über dieses Kapitel seines Lebens berichtet. Die Parins waren wach genug, bald nach dem Krieg zu merken, dass sich auch der jugoslawische Sozialismus nicht in die Richtung entwi-ckelte, die ihnen vorschwebte. So ging das Ehepaar zurück nach Zürich, wo Paul eine neurologische Ausbildung abschloss und die eines Psychoanalytikers begann.
Als Analytiker sei Parin ein gutes Beispiel von Weltbezogenheit gewesen, sagt der Psychiater Berthold Rothschild: »Er hat sich nie hinter der Couch versteckt.« Als Weltbürger sah Parin seine Heimat überall und nirgends. So pflegte er zu sagen: »Es fehlt mir an nichts, nur ich selber fehle.« Zu diesem Gefühl der Entfremdung mögen auch die Reisen der Parins nach Afrika beigetragen haben. Paul und Goldy Parin waren Anhänger der von Georges Devereux begründeten Ethno-Psychoanalyse. Das Buch Die Weißen denken zuviel – Psychoanalytische Untersuchungen bei den Dogon in Westafrika begründete ihren Ruhm auf diesem Gebiet. Daneben gab es eben auch den Schriftsteller Paul Parin – etwa mit seinen Jugenderinnerungen an »Kakanien«, die 1980 unter dem Titel Untrügliches Zeichen von Veränderung erschienen.
Eine Grenzüberschreitung hat Paul Parin nicht begangen: Als seine Frau Goldy 1997 starb, fürchteten nicht wenige seiner Freunde, angesichts des symbiotischen Verhältnisses der beiden (die anscheinend bewusst auf Nachkommen verzichteten), könnte Paul den Freitod wählen. Er hat es nicht getan, sondern ist am 18. Mai in seiner Zürcher Wohnung, in der die Parins seit 1952 ansässig waren, eines natürlichen Todes gestorben. Peter Bollag
Paul Parin