von Schimon Staszewski
Die Beschneidung minderjähriger Jungen ist in die Kritik geraten. Worüber in Deutschland bislang nur diskutiert wird, hat in anderen Gesellschaften wie Großbritannien, Kanada oder den skandinavischen Ländern schon zu Konsequenzen geführt: Dort ist ein bedeutendes Absinken der Beschneidungsrate in der nichtjüdischen Bevölkerung zu verzeichnen, insbesondere dort, wo die Krankenkassen die Kosten für diesen Eingriff nicht mehr übernehmen.
In Schweden wurde im Jahre 2001 ein Gesetz in Kraft gesetzt, das die rituellen Beschneidungen strengen Regeln unterwirft und diese einschränkt. Es verbietet generell die Beschneidung ohne medizinische Begründung bei Jungen, die älter als zwei Monate sind. Die Beschneidung darf dort nur noch in Anwesenheit eines Arztes und unter Betäubung vorgenommen werden.
Die Beschneidung, um die hier gestritten wird, ist der weltweit am häufigsten durchgeführte Eingriff. Bei der Beschneidung von Jungen wird die Vorhaut teilweise oder vollständig entfernt. Hierbei kommen unterschiedliche chirurgische Methoden zur Anwendung.
Man schätzt, dass derzeit ungefähr 25 Prozent der männlichen Weltbevölkerung beschnitten sind. Allein in den USA wurden im Jahre 2005 circa 56 Prozent aller männlichen Neugeborenen beschnitten, in den englischsprachigen Ländern Afrikas und in der arabischen Welt liegt die Quote bei etwa 80 Prozent. In Europa hingegen ist die Zahl der beschnittenen Männer vergleichsweise gering.
Im Gegensatz zur Beschneidung von Mädchen und jungen Frauen, die zur Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, zum Verlust der Libido und einem erhöhten Risiko unter der Geburt führt, hat die Beschneidung bei Jungen und Männern keine analogen Folgen.
Um den Einfluss der Beschneidung bei Männern auf die Sexualität ranken sich viele Mythen. Die Behauptung einiger Studien, dass die Herabsetzung der Empfindlichkeit der beschnittenen Eichel bei Män- nern zu einer Verlängerung der Erektionsdauer führen kann und vorzeitige Ejakulationen seltener auftreten, wird von vielen Männern als Grund für eine gewünschte Beschneidung angegeben. Allerdings sind diese Befunde keineswegs statistisch gesichert, und es gibt Studien, die das genaue Gegenteil behaupten. Normalerweise hat die Beschneidung überhaupt keine Auswirkungen auf die Sexualität.
In den meisten Fällen werden Zirkumzisionen, wie der medizinische Begriff für Beschneidungen lautet, aus hygienischen und gesundheitlich-präventiven Gründen durchgeführt. So empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Beschneidung bei Männern als Vorsorge vor Infektionen der Peniseichel (Balanitis), der Reduktion der Rate von Peniskarzinomen und der Übertragung von Viren beim Geschlechtsakt.
In Studien konnte bei beschnittenen Männern eine Verringerung des HIV-Infektionsrisikos sowie ein geringeres Risiko, an anderen Geschlechtskrankheiten wie Syphilis oder Gonorrhöe zu erkranken, festgestellt werden. Auch ist das Risiko für Harnwegsinfektionen deutlich verringert. Ob allerdings das Vorkommen von Gebärmutterhalskarzinomen bei Frauen mit beschnittenen Partnern geringer ist als in der Gesamtbevölkerung, konnte bisher noch nicht eindeutig belegt werden.
Direkte medizinische Indikationen zur Zirkumzision bestehen ausschließlich bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen der Vorhaut, einem Peniskarzinom, sowie einer nicht korrigierbaren Einklemmung der Eichel, die in Extremfällen zum Zelltod der Eichel führen kann (Paraphimose), und in Einzelfällen bei einer schmerzhaften Vorhautverengung (Phimose).
Andere Gründe für Beschneidungen sind kultureller, religiöser oder auch ästhetischer Natur. Insbesondere für Juden und Muslime ist die Beschneidung eine religiöse Pflicht.
Aus medizinischer Sicht hat die Beschneidung von Jungen und Männern überwiegend Vorteile, die vorwiegend erst im Erwachsenenalter zum Tragen kommen. Bei sachgemäßer Durchführung durch entsprechend geschulte Fachkräfte bleibt der Eingriff in aller Regel ohne negative Folgen.
Im Judentum ist die Beschneidung, hebräisch: Brit Mila, von Jungen zeitlich auf den achten Tag nach der Geburt festgelegt. Mit diesem Akt, der oft mit der Namensgebung verknüpft ist, wird ihr Eintritt in den Bund Gottes mit dem jüdischen Volk besiegelt. Eine Verschiebung ist nur bei Gefährdung der Gesundheit des Kindes oder anderen Gefahren, wie etwa religiöser Verfolgung, und bei einem späteren Übertritt zum Judentum erlaubt. Das Gebot der Brit Mila wird dabei so hoch angesiedelt, dass sie sogar bei verstorbenen jüdischen Männern, die noch nicht beschnitten worden waren, nachgeholt wird.
Bezeichnend ist, dass die Brit Mila in der jüdischen Geschichte zu einem der am stärksten verfolgten Gebote wurde. So wurden unter antijüdischen Herrschern hohe Strafen bis hin zur Todesstrafe für das Beschneiden von Jungen verhängt, wie es auch während der griechischen Besatzung Judäas im zweiten Jahrhundert v.d.Z. geschah, die zum Aufstand der Makkabäer führte (vgl. Seite 1).
Die aktuellen rechtlichen Probleme der Beschneidung von minderjährigen Jungen, die noch nicht selbst ihr Einverständnis geben können, sind noch zu klären.
Da aus medizinischer Sicht bei sachgemäßer Durchführung keine negativen Folgen für den Betroffenen zu erwarten sind, stellt sich die Frage, weshalb nicht im gleichen Atemzug zum Beispiel auch über Piercing oder über das Durchstechen von Ohrläppchen bei Kleinkindern in ähnlicher Weise diskutiert wird.
Der Autor ist Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie im hessischen Langen und stellvertretender Vorsitzender der Bnai Brith Loge in Frankfurt/Main.