von Ralf Balke
Ein rechtspopulistischer dänischer Politiker namens Mogens Glistrup warb in den siebziger Jahren mit einer Super-Idee um Wählerstimmen. Um die Steuern radikal zu senken, sollte die Armee abgeschafft und im Kopenhagener Verteidigungsministerium ein Anrufbeantworter installiert werden, der bei Bedarf auf Russisch erklärte: »Wir haben kapituliert.«
Inzwischen ist nicht nur im Staate Dänemark etwas faul, sondern in ganz Europa, schreibt Henryk M. Broder in seinem neuen Buch Hurra wir kapitulieren. »Mogens Glistrup hatte die richtige Idee, nur dreißig Jahre zu früh. Jetzt wäre die richtige Zeit, den Anrufbeantworter zu aktivieren und zu besprechen. Auf Arabisch.«
Was Broder auf die Palme treibt, ist die von ihm wahrgenommene Blindheit der Europäer gegenüber der Bedrohung durch den radikalen Islam. Nicht nur die Weigerung, den totalitären Charakter des Islamismus à la Hisbollah, Hamas oder sonstiger Mörder im Namen Allahs als solchen überhaupt zu erkennen, ist für Broder ein deutliches Symptom dafür, daß Appeasement schon längst so etwas wie ein Grundakkord europäischer Politik geworden ist. Dieselbe Mentalität sieht er auch am Wirken, wenn auf die sich in den europäischen Großstädten herauskristallisierenden islamischen Parallelgesellschaften stets nur mit der Sozialarbeiterstandardfrage reagiert wird: »Was haben wir bloß wieder falsch gemacht?« Wenn vermeintliche Ursachenforschung zu keiner anderen Schlußfolgerung gelangt, als daß man bitteschön immer Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der Muslime in aller Welt nehmen muß, ohne dabei die Frage zu stellen, wie weit es denn dort um Toleranz und Akzeptanz nicht-islamischer Positionen bestellt ist, dann sieht für Broder der ständig empfohlene »kritische Dialog auf Augenhöhe« als Königsweg zur Konfliktentschärfung reichlich absurd aus.
Der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen ist für den Publizisten ein Beispiel par excellence, wie Appeasement aussieht. Einige Imame aus Dänemark reisen mit den zwölf Zeichnungen aus der Zeitung Jyllands-Posten im Gepäck, die sich auf wundersame Weise um einige weitere, viel drastischere Bilder vermehren, durch die islamische Welt und initiieren eine Kampagne gegen die vermeintliche Beleidigung des Propheten. Zahlreiche Tote und einige niedergebrannte europäische Botschaften später fordern europäische Politiker aller Richtungen nur noch »Deeskalation« und »Besonnenheit« – natürlich von Europäern und Muslimen gleichermaßen. Vom Hinweis auf die eigenen Werte kaum eine Spur. Ein verheerendes Signal sagt Broder, denn: »Es geht um Meinungsfreiheit, den Kern der Aufklärung und der Demokratie, und um die Frage, ob Respekt, Rücksichtnahme und Toleranz die richtigen Mittel im Umgang mit Kulturen sind, die sich ihrerseits respektlos, rücksichtslos und intolerant gegenüber allem verhalten, das sie für dekadent, provokativ und minderwertig halten, von Frauen in kurzen Röcken über Häresie und Religionsfreiheit bis hin zu Karikaturen, von denen sie sich provoziert fühlen, ohne sie gesehen zu haben.«
Broder spricht in diesem Zusammenhang von einer »Godzilla-Logik«: »Man sollte das Monster nicht reizen, seine allzeit ausbruchsbereite Aggressivität nicht auf die Belastungsprobe stellen.« So löst bereits eine geplante ARD-Reportage über die nicht gerade heitere Situation von Christen in arabischen Ländern ein Krisenszenario aus, da die Sendung vielleicht negative Reaktionen seitens einiger Muslime hervorrufen könnte. Gleichzeitig, so Broder, sponsern die Europäer seit Jahren die PLO, um sich so möglichen Terror zuhause vom Leibe zu halten und zu verhindern, daß vielleicht eine noch radikalere Gruppe in den Autonomiegebieten an die Macht kommt. Pech gehabt, jetzt hat dort die radikal-islamistische Hamas das Sagen, und nicht wenige Europäer würden gerne auch sie mitfinanzieren. Natürlich nur um Schlimmeres zu verhindern. Oder man pocht auf weitere Verhandlungen in Sachen Nukleartechnik mit dem Iran, wohl wissend, daß Teheran seit mehr als achtzehn Jahren über den Entwicklungsstand seiner Atomlagen gelogen hat, daß sich die Balken biegen. Sanktionen könnten ja provozieren.
»Womit wir bei der Frage aller Fragen angelangt wären: Wie hoch muß der Ölpreis steigen, bis die Existenz Israels zur Disposition steht?« Angesichts des geradezu lustvollen Hangs der Europäer zum Appeasement, hält es Broder trotz aller offiziellen Lippenbekenntnisse für das Exi- stenzrecht des jüdischen Staat nicht mehr für ausgeschlossen, daß eines Tages Europa seinen Segen auch für eine »Friedensordnung« gemäß den Vorstellungen der Hamas oder Hisbollah erteilt.
henryk m. broder: hurra,
wir kapitulieren. von der lust
am einknicken
WJS, Berlin 2006,167S., 16 €