von Marianne Stars
Graue Wolken ziehen sich vor das Blau des Himmels. 200 geladene Gäste versammeln sich an diesem 15. Mai in Leipzig vor dem jüdischen Kultur- und Begegnungszentrum »Ariowitsch-Haus« in der Hinrichsenstraße 14 im Waldstraßenviertel. Nach vielen Jahren des Wartens soll es feierlich eröffnet werden. Alle warten auf das Anbringen der Mesusa an die Eingangstür durch den Landesrabbiner Salomon Almekias-Siegl. Mittels Schraubenzieher befestigt er das Symbol, das auch schützen soll, wie er sagt.
Küf Kaufmann, der Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinde, tritt glückstrahlend vor die Gäste. »Jetzt haben wir die modernste Sicherheitsmaßnahme, das Haus ist geschützt. Ich muss nichts weiter sagen. Alles steht in meinem Gesicht geschrieben.« Dann lädt er die Versammelten in die Aula ein. Der Saal, der Vorderhaus und Hinterhaus verbindet, präsentiert sich als raffiniert gestaltetes architektonisches Kunstwerk samt blauem Licht, das zu verzaubern vermag. Dort unten im Souterrain mit zylinderförmigen Oberlichtelementen spricht Küf Kaufmann Ehrengäste direkt an. »Liebe Frau Knobloch, Sie haben vor 15 Jahren als eine der Ersten unsere Gemeinde besucht und uns unterstützt. Lieber Herr Tiefensee, Sie haben dem Projekt grünes Licht gegeben, oft standen wir vor roten Ampeln, aber nun ist alles überstanden.«
Und Kaufmann lässt es sich auch nicht nehmen, aus einem Brief zu zitieren, den ein in den USA lebender Urenkel geschrieben hat. »Wir sind glücklich, dass das Haus noch mal ein lebendiger Teil wird und dass es den Namen Ariowitsch trägt«, zitiert Kaufmann und setzt hinzu: »Das Haus steht allen weit offen, um Menschen einander näherzubringen, um Kultur und Bräuche aus erster Hand kennenzulernen. Wenn ich alles, was ich noch sagen möchte, aber aus Zeitgründen nicht sagen kann, in drei Worte fassen müsste, dann wären es die: Danke, Willkommen, Schalom.«
Sie habe es schon immer gewusst, dass »Sie ein Macher sind, aber dass Sie ein so herausragender Redner sind, das war mir entgangen«, lobt Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland den Vorsitzenden der Israelitischen Religionsgemeinde Leipzig. Dann spricht sie von dem »ganz besonderen Ort«, ein historischer Ort deutscher Geschichte sei. »Wenn Steine reden könnten, sie würden von der wechselvollen Geschichte sprechen, der Geschichte des Hauses, des Landes, der Stadt.«
Über ihren langen Weg von Israel nach Leipzig spricht Channa Gildoni, Vorsitzende des Verbandes ehemaliger Leipziger in Israel. Sie sehe sich noch als kleines Kind, wie sie unbeschwert ins Rosental läuft, ehe Menschen aus der Stadt verjagt und verschleppt werden. »Wir haben Brücken gebaut und neue Freunde gefunden. Wir wollen allen die Hand reichen.« Jeder habe das Recht zu leben. »Das jüdische Volk wird nie untergehen. Das jüdische Volk lebt«, bekräftigt sie und erntet viel Beifall.
Viele Hindernisse gab es in den Jahren bis zur Eröffnung, manchmal schienen sie unüberwindlich, sagt Oberbürgermeister Burkhard Jung. Viele Menschen hätten einen Anteil daran, dass dieses Zentrum Wirklichkeit geworden ist. Mit mehr als 1.200 Gemeindegliedern sei die Israelitische Religionsgemeinde Leipzig die größte in Sachsen und sie wachse ständig weiter. »Die eigentliche Arbeit beginnt erst«, sagt Jung und spricht damit den Austausch und das Voneinanderlernen an.
»Endlich« und »Danke« sind Worte, die am meisten fallen an diesem Tag. Küf Kaufmann strahlt über das ganze Gesicht, so sehr, dass er die Sonne hervorkitzelt. Nach dem Festakt, als sich die Gäste auf der Terrasse über der Aula versammeln, strahlt sie in voller Stärke, als wolle sie sagen, der Himmel sei mit euch.
Unter den Gästen ist auch Nachbarin Barbara Baumgärtel, Vorsitzende des Vereins Waldstraßenviertel. »Wir wohnen schon seit den 50er-Jahren im Waldstraßenviertel und eine lange Zeit direkt im Haus gegenüber«, sagt sie. »Das ist eine wunderbare Gelegenheit, sich hier zu treffen, um miteinander ins Gespräch zu kommen, zu schwatzen.« Sie und ihr Mann Ulrich Baumgärtel freuen sich sehr, dass das jüdische Kultur- und Begegnungszentrum endlich fertig, die Baustelle weg ist und die Querelen der Vergangenheit angehören. Das Domizil ihres Vereins Waldstraßenviertel befindet sich zudem ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft in der Hinrichsenstraße. Und beide Baumgärtels arbeiten unermüdlich ehrenamtlich für den Verein Waldstraßenviertel, in dem sich eine Arbeitsgruppe speziell dem jüdischen Leben widmet. Ulrich Baumgärtel erarbeitet Publikationen und Stadtteilrundgänge zum jüdischen Leben im Viertel. Nun werde er das neu eröffnete jüdische Kultur- und Begegnungszentrum mit einbeziehen in die Rundgänge und mit den Gästen auch hineingehen in das Ariowitsch-Haus, das sei alles schon mit Küf Kaufmann abgesprochen.