von Ingrid Hilgers
Die Hannoveraner sind offensichtlich neugierig. Schon gut einen Monat vor der offiziellen Eröffnung am 25. Januar kamen sie am vergangen Sonntag zum »Tag der offenen Tür« in das neue Zentraum der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover. Weit mehr als 1.500 Menschen waren der Einladung der Vorsitzenden Ingrid Wettberg gefolgt, sich die neuen Räume der Gemeinde in der Fuhsestraße anzusehen.
Sie besuchten den israelischen Basar, schnupperten an Seifen und Badezusätzen, stöberten am Büchertisch, machten es sich im künftigen Seniorencafé gemütlich. Andere lauschten der Musikgruppe Mizwa, probierten selbst gebackenen Kuchen sowie israelische Leckereien, besichtigten die Synagoge Etz Chaim sowie die neue Bibliothek. Der Name des Gotteshauses bedeutet übersetzt Baum des Lebens und ist gleichzeitig auch der Leitspruch der Gemeinde. »Ein Baum symbolisiert Geborgenheit und Schatten, in dem sich die Gemeindemitglieder ausruhen dürfen«, erklärt Ingrid Wettberg.
Für sie geht mit dem neuen Gemeindezentrum ein Lebenstraum in Erfüllung. Jahrelang hatte die Vorsitzende nach geeigneten Räumlichkeiten in Hannover gesucht. Eine 500 Quadratmeter große Büroetage, in der sich die Gemeinde viele Jahre getroffen hatte, war für die rund 600 Mitglieder viel zu beengt.
Vor rund zweieinhalb Jahren hatte die Gemeinde die evangelische Gustav-Adolf- Kirche erworben und sie nach ökologischen Kriterien zu einem Gemeindezentrum mit Synagoge umgebaut. Zum 3.600 Quadratmeter großen Zentrum gehören ein Kindergarten, ein Jugendzentrum, eine Migrationsberatung, eine Bibliothek, ein großer Veranstaltungsraum sowie ein Frauen- und ein Seniorencafé. An den Kosten von 3,2 Millionen Euro hatte sich das Land Niedersachen mit einer Million Euro, die Stadt Hannover mit 500.000 Euro und die Region mit 500.000 Euro beteiligt.
Von Anfang an legte die Liberale Jüdische Gemeinde großen Wert auf ein gutes Verhältnis zur evangelischen Kirche und zur Nachbarschaft. Sie wollte aus den Erfahrungen, die die Bielefelder Gemeinde vor einem Jahr machen musste, lernen. Nach dem letzten Gottesdienst hatten die Christen dort ihre eigene Kirche besetzt, um so gegen die Umwidmung ihres Gotteshauses zu protestieren. »Es ist schmerzlich, wenn Gläubige ihr Gotteshaus verlieren«, sagt Ingrid Wettberg und räumt ein, dass sie die Gefühle der Menschen verstehen könne. Daher seien die Nachbarn jederzeit im neuen Gemeindezentrum willkommen. »Wir wollen ein offenes Haus sein.«
Offen will die Gemeinde auch in anderer Hinsicht sein, so will sie beispielsweise auch Lesern außerhalb der Mitgliederschaft den Zugang eröffnen. Die Bücherei soll ein Highlight und in Niedersachsen einzigartig sein. Mit ihren mehr als 1.000 Werken in fünf Sprachen, darunter rabbinische Schriften, wissenschaftliche Bände, aber auch unterhaltende Literatur, soll sie bis weit in die Stadt Hannover und darüber hinaus wirken. »Wir wollen, dass sich in der Bibliothek jeder über die jüdische Kultur und Geschichte informieren kann oder auch Material für eine Diplomarbeit findet«, erläutert Kay Schweigmann, der die Bibliothek betreut.
Darüber hinaus seien Kulturveranstaltungen mit Musik und Lesungen in deutscher und russischer Sprache geplant. Offiziell wird die Bibliothek voraussichtlich im Februar 2009 eröffnet. »Wir wollen in unserem Gemeindezentrum jüdisches Leben vertiefen und entwickeln«, erläutert Alisa Bach, Gründungsmitglied der Ge- meinde, ihre Visionen für die Zukunft. Sie lobt nachdrücklich den Architekten Roger Ahrens, der in behutsamer Weise den Um- und Ausbau der Gustav-Adolf-Kirche leitete und dabei sehr auf die Befindlichkeiten der evangelischen und jüdischen Gemeindemitglieder achtete.
Und dass die Planungen nicht nur Visionen sind, bewies schon der Tag der offenen Tür, der bei den Besuchern sehr gut ankam. Schließlich wurden sie auch fürstlich empfangen. Vor dem Haupteingang des Zentrums war ein roter Teppich ausgerollt, über den jeder Gast schritt und an der Tür persönlich begrüßt wurde. Unter ihnen war auch Ursula Schuemann, sie hatte von dem Tag der offenen Tür zufällig im Radio erfahren und zeigte sich begeistert: »Ich habe große Lust, häufiger zu kommen und möchte gerne einmal einen jüdischen Gottesdienst erleben.« Diesen Wunsch teilen auch Georgia Gascard und ihre Mutter. »Wir sind von der freundlichen und herzlichen Atmosphäre sehr angetan«, loben die beiden. Georgia Gascard will ihren Hebräisch-Kurs künftig im Gemeindezentrum der Liberalen Ge- meinde besuchen. Gemeindemitglied In- grid Willing zeigte sich am Tag der offenen Tür von ihren Gefühlen überwältigt. »Ich hätte weinen können vor Glück, dass wir nun endlich ein neues Zuhause haben.«