von Detlef David Kauschke
Ist er 104, 105 oder sogar 108 Jahre alt? Keiner weiß es so genau. Itzhak Kaduri hat auf jeden Fall schon fast ein biblisches Alter erreicht. Am Sonntag vergangener Woche bekam der greise Rabbiner schwere gesundheitliche Probleme. Er wurde mit Lungen- entzündung und grippalem Infekt ins Jerusalemer Bikur Holim Hospital eingeliefert. Wenige Tage zuvor war Rabbiner Kaduri schon einmal stationär behandelt und auf eigenen Wunsch entlassen worden, »um wieder Menschen zu empfangen, die zu mir kommen wollen, um einen Segen zu erhalten«. Noch im Krankenhaus soll er seine Studien der Tora und kabbalistischer Schriften wieder aufgenommen haben.
In Synagogen wurden Psalmen für seine Genesung gesprochen. An der Klagemauer gab es unter Leitung des sefardischen Oberrabbiners Schlomo Amar ein Massengebet für den, wie viele sagen, größten Kabbalisten der Gegenwart.
Itzhak Kaduri ist im Irak geboren. Der Tradition entsprechend wurde er in der Tora unterwiesen, zudem erlernte er das Buchbinderhandwerk. Seine geistige Ausbildung erhielt er bei dem Toragelehrten und Kabbalisten Yosef Chaim, bekannt als Ben Isch Chai.
Yosef Chaim lebte von 1834 bis 1909 in Bagdad. Er war einer der berühmtesten Rabbiner des sefardischen Judentums seiner Zeit und galt als wichtigster Vertreter der kabbalistischen Lehren des Ari Ha-Kadosch und des Rabbis Chaim Vital.
Itzhak Kaduri war 1908 nach Israel gekommen, ging dann noch einmal in den Irak zurück, um acht Jahre später wieder nach Jerusalem zurückzukehren. Er nahm seine Studien in der Jeschiwa »Porat Yosef« auf, setzte sie danach in der Jeschiwa »Nachalat-Yitzchak« fort.
In der Jeschiwa im bucharischen Viertel von Jerusalem befindet sich auch heute noch seine Residenz. Dort wohnt auch seine mehrere Jahrzehnte jüngere Frau, die Rebbezin Dorit Kaduri. Und hierher kommen täglich zahlreiche Gläubige, um den Segen des berühmten Kabbalisten zu erhalten. Die Gläubigen erhoffen sich Beistand in persönlichen Fragen, erbitten seine Fürsprache in Sachen Gesundheit, pri-
vaten und beruflichen Erfolg.
Viele erwerben eines der Bilder des Gelehrten, kleine Anhänger oder Plastikkärtchen mit Gebeten und kabbalistischen Formeln. Einfache Leute, aber auch mancher Wirtschaftsboß oder Fußballstar besitzt eines der silbernen oder goldenen Amulette von Rabbiner Kaduri. Die kleinen Glücksbringer, die vom Kabbalisten persönlich gesegnet sein sollen, sind weit verbreitet. Sie werden auch im einschlägigen Versandhandel angeboten. Erst kürzlich wurde ein »Power-Amulet« mit dem »Schlüssel des Segens und der Gesundheit« von Rabbiner Kaduri bei ebay angeboten. Es wechselte für 19,95 US-Dollar den Besitzer. Judy Schalom Nir-Mozes, Frau des bisherigen Außenministers Silvan Schalom, hat bei den Trauerfeierlichkeiten für Papst Johannes Paul II. im Vatikan Prinz Charles einen goldenen Kaduri-Talisman als Geschenk zur Hochzeit mit Camilla Parker-Bowles überreicht. Medienberichten zufolge soll sie den britischen Thronfolger darauf hingewiesen haben, daß auch der ehemalige US-Präsident Bill Clinton im Besitz eines solchen Amuletts sei, und es ihm in schweren Stunden schon recht hilfreich gewesen sei. Hilfreich scheinen für manchen Politiker auch die persönlichen Begegnungen mit dem Rabbiner zu sein. Unter anderem Staatspräsident Moshe Katsav oder auch Likud-Chef Benjamin Netanjahu haben in der Vergangenheit schon das Gespräch mit Kabbalisten gesucht. 1998 kam es zu einer Begegnung mit König Hussein von Jordanien. Zuvor hatte der Rabbiner dem Monarchen eine Nachricht zukommen lassen, in dem er ihn zu mehr Einsatz für den Frieden aufforderte. Beim Besuch im Haschemitenreich flog ihn der König persönlich im Hubschrauber zum Berg Hor, der biblischen Überlieferung zufolge die Grabstätte Aharons, damit der Rabbiner dort beten konnte.
Zwei Jahre zuvor war Kaduri selbst politisch aktiv geworden. 1996 beteiligte er sich aktiv am Wahlkampf der sefardisch-orthodoxen Schas-Partei, ließ dabei auch seine Amulette an die Wähler verteilen. Bei den Wahlen 2003 traten Anhänger von Kaduri mit einer eigenen Liste an. Doch erhielt seine Ahavat-Israel-Partei nur 0,2 Prozent der Stimmen.
Während der Diskussion um den Gasa-Abzug im vergangenen Jahr segnete Kaduri die Abzugsgegner. Dann wiederum überraschte er die Öffentlichkeit, als er Premier Scharon seine Unterstützung aussprach. Ein Sohn Kaduris richtete im Namen seines Vaters aus: »Gasa gehört den Palästinensern.«
Den überwiegenden Teil seiner Zeit widmete er jedoch seinen spirituellen Übungen und Studien. Regelmäßig hielt er Schiurim ab. Dabei überraschte er in letzter Zeit immer wieder mit kabbalistischen Geheimnissen. So soll er Natur-
katastrophen vorausgesehen haben. Wie zum Beispiel Ende 2004, als er von gewaltigen Phänomenen sprach, die in der Zeit der Erlösung geschehen würden. Zwei Wochen später verwüstete der Tsunami südostasiatische Küstengebiete und forderte hunderttausende Menschenleben.
Dies sei von den Juden in aller Welt als Warnung zu verstehen, so Kaduri. Sie sollten sich angesichts der bevorstehenden Erlösung in Israel versammeln. Unlängst teilte der Rabbiner seinen Anhängern mit, daß die Seele des Messias in den Körper eines Mannes in Israel geschlüpft sei. Der Erlöser werde sich zu gegebener Zeit der Menschheit präsentieren. Darüber hinaus sagte Kaduri seinen Schülern, daß die Scharon-Regierung die letzte israelische Regierung der »alten Zeit« sein werde, abgelöst durch einen Staatschef der messianischen Ära. »Nach Scharons Regierung wird der Messias kommen.«
In einer Begegnung mit dem Lubawitscher Rebben 1990 in New York soll Menachem Mendel Schneerson Rabbiner Kaduri gewünscht haben, das er 110 Jahre alt werden und die Offenbarung des Messias selbst erleben möge.
104, 105 oder 108 Jahre. Eine gesegnetes Alter. Wie Yehoshua Meiri, ein Vertrauter Kaduris, der Jüdischen Allgemeine versicherte, hat der Rabbiner noch vor wenigen Tagen auf dem Krankenbett gesagt: »Die Zeit unserer Erlösung ist gekommen.«