Tora

Glauben ohne Wunder

von Benjamin Salant

»Sieh, ich komme in dichtem Gewölk zu dir, damit das Volk es höre, wenn ich mit dir rede, und sie auch an dich für immer glauben«, spricht der Herr zu Moses im Abschnitt dieser Woche (2. Buch Moses 19,9). Dieser Ausdruck ist schwierig und erstaunlich. Weshalb an Moses glauben, einen Menschen aus Fleisch und Blut? Und zudem hatte es im Abschnitt der vergangenen Woche im Lied am Meer in der Tora schon geheißen: »Und das Volk glaubte an den Ewigen und an Moses, seinen Knecht« (14, 31). Weshalb wird dieser Gedanke im Abschnitt dieser Woche wiederholt?
Das Thema Glaube wirft zahlreiche Fragen auf. Große Philosophen haben zu definieren versucht, was Glaube ist, und sie haben sich die Frage gestellt, ob die Tora uns befiehlt, zu glauben. In Sefer ha-Mitzvot gibt Maimonides den Glauben an den Herrn als erstes der 613 Gebote an, worin ihm bei weitem nicht alle folgen. Kann man einem Menschen gebieten: »Du sollst lieben« oder »Du sollst dich freuen«?
Mehrere Auslegungen erklären, daß vaya’aminu – »und sie glaubten«, oder ya’aminu – »sie werden an dich glauben«, nicht den Glauben an den Menschen Moses meint, sondern den Glauben an den Propheten und seine Botschaften. Manche fügen hinzu, daß sich die Worte »für immer« in unserem Abschnitt auf alle Propheten nach Moses beziehen. So lesen wir in Mekhilta de-Rabbi Ishmael, Jitro (Kap. 2): »Und an dich für immer glauben – an dich nämlich und an die Propheten, die nach dir kommen werden.«
Raschi und Nachmanides bieten ähnliche Deutungen an. Ibn Ezra verwendet in seinem ausführlichen Exodus-Kommentar unseren Vers, um die von außerjüdischen Gelehrten aus Indien aufgeworfene Frage zu beantworten, ob es denkbar ist, daß der Herr zu einem Menschen gesprochen hat. Er schreibt dort: »Und an dich für immer glauben – nämlich, daß du ein Prophet bist, so daß ihr Zweifel schwindet... wie geschrieben steht: ›heute haben wir es gesehen, wie Gott mit dem Menschen redet, und der leben bleibt (5. Buch Moses 5,21)‹«.
Maimonides geht auf die Frage ein, weshalb dieser Gedanke im Abschnitt dieser Woche wiederholt wird, da er doch schon im vorigen Abschnitt zur Sprache gekommen war (Hilkhot Yesodei ha-Torah, Kap. 8): »Die Israeliten glaubten nicht an Moses, weil er Wunder vollbrachte; denn diejenigen, die wegen Wundern glauben, tun unrecht, da die Zeichen und Wunder auch auf Zauberei zurückgehen könnten. Vielmehr waren die Zeichen und Wunder, die Moses in der Wüste tat, allesamt notwendig, und zwar nicht als Beweis für die Gültigkeit seiner Weissagungen. Auf welche Art also glaubten sie an Moses? Bei der Erscheinung Gottes am Berg Sinai, die wir mit unseren eigenen Augen sahen und nicht durch die Augen anderer, und die wir mit unseren eigenen Ohren hörten und nicht durch die Ohren anderer – Feuer, Blitz und Donner... Daraus können wir schließen, daß sie vor diesem Ereignis nicht mit unerschütterlichem Glauben an ihn glaubten; vielmehr glaubten sie mit einem Glauben, der nie ganz frei von Zweifeln war.«
Maimonides’ Botschaft ist unmißverständlich: Wahrer Glaube braucht keine Wunderzeichen. Yeshayahu Leibowitz erläutert Maimonides’ Haltung an dieser Stelle: »Das letzte Ziel liegt darin, den Glauben an Gott von allen konkreten Realisierungen und Anthropomorphismen (Vermenschlichungen) zu scheiden. Naturerscheinungen oder sagenhafte historische Ereignisse genügen nicht, damit ein Mensch glaubt. Der reine Glaube beweist sich durch die Entschlossenheit, den Herrn ganz unabhängig von etwaigen Wundern, die man gesehen oder von denen man gehört hat, zu ehren.«
Der Tora-Interpret Sforno erläutert: »Und glaubten an ihn für immer – sie glauben an die Möglichkeit der Weissagung von Angesicht zu Angesicht, daß ich wahrhaftig von Angesicht zu ihnen rede, ohne Traum, wie sie sprachen: »Und der Ewige redete zu Moses von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann zu seinem Freund redet« (2. Buch Moses 33,11).
Rabbiner Jacob ben Asher (13. bis 14. Jahrhundert) nimmt zu unserem Vers eine ganz eigene Stellung ein. Er leitet aus ihm ab, daß man an die Rabbiner glauben muß. Die Worte »sie glaubten an den Ewigen und an Moses, seinen Knecht« verwiesen darauf, »daß ein Mensch, der gegen seinen Rabbiner spricht, wie einer ist, der sich gegen die Gegenwart des Göttlichen wendet; und wer die Worte der Rabbiner glaubt, ist wie einer, der an die Gegenwart des Göttlichen glaubt.«
Der Glaube galt Moses, dem Propheten, dem Knecht Gottes. Man muß daran glauben, daß Moses die Worte Gottes überbrachte, wie auch Rabbiner Judah Halevy sagt: »Es stimmt, das Volk besaß nicht die Stärke, die Moses besaß, um das große Angesicht selbst zu schauen. Von jenem Tage an glaubte das Volk jedoch daran, daß Moses, der Knecht des Herrn, das Wort des Herrn empfangen hatte« (Kuzari, 1,7).

Der Autor unterrichtet an der Bar-Ilan-Universität in Ramat-Gan/Israel. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Fakultät für Jüdische Studien, www.biu.ac
Jitro: 2. Buch Moses 18,1 - 20,23

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