von Ulf Meyer
Es wirkt wie ein Magnet. Trotz der starken Konkurrenz in der deutschen Hauptstadt ist das Jüdische Museum Berlin zu einem der meistbesuchten Museen aufgestiegen. Kaum ein Tourist beendet seinen Aufenthalt, ohne Daniel Libeskinds expressives Meisterwerk besucht zu haben. Seit der Eröffnung im Jahr 2001 haben mehr als vier Millionen Gäste das Museum »erlebt«: Libeskinds Entwurf hat ihn selbst und das Museum weltberühmt gemacht.
Der ehemals als jüdische Abteilung des örtlichen Geschichtsmuseum geplante Anbau hat dem eigentlichen Hauptgebäude, einem der schönsten Barockgebäude Berlins, dabei die Schau gestohlen. In dem Collegienhaus wurde nun ein weiterer Libeskind-Entwurf eingeweiht. Und damit verschieben sich die Gewichte wieder zugunsten des Altbaus.
Der 600 Quadratmeter große und zwölf Meter hohe Hof des Altbaus wurde überdacht, damit dieser U-förmig umschlossene Raum zum Veranstaltungsort werden kann. Libeskinds dekonstruktivistische Handschrift zeigt sich im Kontrast zu Philipp Gerlachs ehemaligem Kammergericht von 1735, dem einzigen erhaltenen Barockpalais in der Berliner Friedrichstadt, und dessen fein proportionierten Fassaden. Nur mit einer kleinen Glasfuge trennt Libeskind das aufgeregte Tragwerk seines neuen Glasdaches von der höheren Traufkante des Altbaus: Vier Stützen tragen das Dach, und die asymmetrischen »Äste« setzen sich als Liniennetz im Dach fort.
Weil sie wie Baumstämme wirken, rufen sie den Eindruck einer Sukka hervor. Der soziale und kommunikative Charakter der Laubhütte soll Pate stehen für den neuen Raum des Berliner Museums. Wie immer bei den Entwürfen des New Yorker Stararchitekten stellte die ausgefallene Geometrie die Planer und Handwerker vor eine große Herausforderung. Die verwinkelten Äste und Baumkronen waren komplizierte Einzelanfertigungen. Weil der Denkmalschutz »möglichst viel Transparenz« für den Neubau forderte, um den Blick auf den wertvollen Altbau nicht über Gebühr zu verstellen, hat der Architekt Weißglas verwendet, das nicht den typischen grünlichen Schimmer von Glas hat.
Die gefaltete Fassade reflektiert spannungsreich Innen und Außen und lässt sich zum Museumsgarten hin breit öffnen. Der neue multifunktionale Raum soll für die jährlich rund 200 Veranstaltungen dienen. Im Boden des Hofes wurde deshalb eine Hebebühne für Konzerte und Podiumsveranstaltungen eingelassen. Für die Kos- ten in Höhe von mehr als acht Millionen Euro kamen Sponsoren und der Bund auf.
Daniel Libeskind kehrt mit der »Laubhütte« an den Ort seines größten Erfolges zurück. Auch wenn er hartnäckig an seinem Repertoire festhält, das auch Fassaden in Denver/Colorado oder Sacramento/Kalifornien schmückt und den Wieder- aufbau von Ground Zero in New York prägt – an keiner Stelle ist sein Formenkanon sinnfälliger als in Berlin, wo er die Brüche in der deutsch-jüdischen Geschichte ausdrückt.