von Richard Herzinger
Mahmud Ahmadinedschads Auftritt bei der »UN-Weltkonferenz gegen Rassismus« in Genf konnte wahrlich niemanden überraschen (vgl. S. 2). Die Bestürzung, mit der Generalsekretär Ban Ki-Moon und die Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, auf seine erneuten Ausbrüche gegen das Existenzrecht Israels reagierten, hatte daher etwas Schmierenkomödiantisches. Wie naiv – oder aber unredlich – dürfen Inhaber solch hoher Ämter sein?
Jeder konnte, ja musste wissen, dass Ahmadinedschad dieses Forum für das volle Repertoire seiner antijüdischen und antiwestlichen Propaganda nutzen würde. Noch einen Tag vorher jedoch hatte sich Ban Ki-Moon »tief enttäuscht« darüber gezeigt, dass sich Deutschland und andere EU-Staaten wie die Niederlande dem Boykott der Konferenz durch die USA, Israel und weiterer Nationen angeschlossen hatten. Das zeuge davon, dass man zu sehr »in der Vergangenheit« verhaftet sei, statt gemeinsam nach vorn zu blicken.
Doch was soll an dem eliminatorischen Israelhass des iranischen Regimes »Vergangenheit« sein? Was Ahmadinedschad in Genf sagte, ist vielmehr fester Bestandteil der Staatsräson der Islamischen Republik Iran. Sollten im Zuge der Dialogangebote Präsident Obamas für einen »Neu- anfang« in den Beziehungen zu Teheran darüber Illusionen aufgekommen sein, hat sie der iranische Führer in Genf spektakulär geraubt.
Die Bundesregierung hatte sich nach langem Zögern buchstäblich fünf Minuten vor Konferenzbeginn doch noch entschlossen, der Veranstaltung fernzubleiben. Ein wirklich klares Signal sieht freilich anders aus – behielt sich Deutschland doch vor, im Verlauf der Konferenz noch einzusteigen. Deutlich war, dass Berlin die Absage höchst unangenehm war, will man doch seine Chancen für die Wahl in den UN-Sicherheitsrat 2011 nicht schmälern. Zudem gab die EU einmal mehr ein kläglich zerrissenes Bild ab – selbst, wenn man die Teilnahme Frankreichs und Großbritanniens als Ausdruck einer vermeintlich pfiffigen Arbeitsteilung interpretiert.
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin und zahlreiche Kommentatoren werfen der Bundesregierung jetzt vor, mit der Absage ihrer Teilnahme in Genf eine »Gelegenheit verpasst« zu haben. Statt dem Spektakel fern zu bleiben, hätte man lieber Flagge zeigen und den Vergewaltigern der Menschenrechtsprinzipien Paroli bieten sollen. Doch das ist eine irreale Vorstellung. Solche Konferenzen sind nicht auf offene Diskussionen realer Probleme ausgelegt. Dort werden offizielle Statements von Regierungen verlesen, zuletzt veröffentlicht man eine gemeinsame Schlusserklärung. Welche Gemeinsamkeit in dieser Frage ist aber mit Staaten möglich, die den Sinn von Menschenrechten im Allgemeinen und den Kampf gegen Rassismus im Besonderen in sein glattes Gegenteil verkehren wollen? Dabei geht es nicht alleine um die rituelle Verdammung Israels als eines aufgrund seiner bloßen Existenz »rassistischen« Staates. Für Diktaturen wie Iran, Kuba und Libyen steht der gesamte Westen wegen seiner kolonialistischen Vergangenheit und seines angeblichen globalen Vorherrschaftsanspruchs per definitio- nem und jederzeit unter der Anklage des Rassismus. Sie selbst berufen sich dagegen auf eine Art »kulturelles und religiöses Menschenrecht«, grundlegende Normen der Menschlichkeit mit Füßen zu treten.
Um die Konferenz nicht als vollständiges Fiasko erscheinen zu lassen, verabschiedeten die 140 anwesenden Staaten die Schlusserklärung bereits drei Tage vor ihrem Ende. Dabei wird es schon als Erfolg gewertet, dass offene Hetztiraden gegen Israel und die Denunziation jeglicher Kritik am Islam – oder genauer: an den Herrschaftssystemen, die diesen zu repräsentieren behaupten – als »rassistisch« aus dem Papier herausgehalten wurden. Verschwiegen werden darin auf der anderen Seite aber schlimmste rassistische Verbrechen wie der sudanesische Völkermord an der schwarzen Bevölkerung Darfurs. Übrig bleiben die Aufzählung ebenso allgemeiner wie hehrer Kriterien für die Gleichstellung rassischer, ethnischer und religiöser Gruppen, deren Umsetzung nur unter der Voraussetzung der hohen Menschenrechtsstandards in westlichen Demokratien denkbar sind. Despoten überall in der Welt werden sie jedoch auch weiterhin höhnisch ignorieren. Ahmadinedschad betreibt die dreiste Umdeutung von Menschenrechten und Antirassismus derzeit am schamlosesten. Deshalb war er die würdige Hauptfigur der bösen Farce von Genf.
Der Autor ist Politik-Redakteur der »Welt« und »Welt am Sonntag«.