Weltmeisterschaft

Gewinn für das ganze Land

Großer Jubel nach dem 3:2-Sieg gegen den Favoriten Brasilien in Argentinien – und dem damit verbundenen Einzug ins Halbfinale. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Eines von einem jüdischen, eines von einem arabischen und ein Tor eines beduinischen Israeli. Drei Tore, ein Spiel, ein Sieg. »Dieser Gewinn ist für das ganze Land«, jubelte Coach Ofir Haim nach dem historischen Erfolg seines Teams bei der FIFA-U20-Weltmeisterschaft in Argentinien und betonte dabei das Adjektiv »ganz«.

Denn wenn die Leistung von allen gemeinsam erbracht werde, gebühre auch der Sieg allen. Das ist das Motto von Haim. Einige der besten Spieler des U20-Nationalteams sind israelische Araber, die mit den jüdischen Mannschaftskameraden bei jedem Spiel gemeinsam an einem Strang ziehen. Im Spiel vom Samstagabend waren sie die Stars: Dor Turgeman, Anan Khalaili und Hamza Shibli – Jude, Araber und Beduine. Mit dieser Attitüde holten sie den 3:2-Sieg im Viertelfinale gegen Brasilien und sicherten sich den Einzug ins Halbfinale.

freudentaumel Grund genug, das »ganze« Land – von eingefleischten Fußballfans über den Präsidenten bis zu weniger Sportbegeisterten – in ekstatischen Freudentaumel zu versetzen. Denn die jungen Männer der israelischen U20-Fußballmannschaft erreichten, was niemand für möglich gehalten hätte: Sie triumphierten völlig überraschend über den Favoriten Brasilien. Dabei schien der fünffache südamerikanische Champion bis in die letzten Minuten auf einen sicheren Sieg zuzusteuern. Doch Israels Comeback war legendär, ein Symbol für Mut und die Weigerung, aufzugeben.

Zuvor hatte es Israel nur ein einziges Mal in eine Weltmeisterschaft geschafft. Das war 1970, vor mehr als einem halben Jahrhundert. Auch in der aktuellen Qualifikation für die Europameisterschaft 2024 in Deutschland sieht es für die israelische Mannschaft wieder einmal nicht sonderlich gut aus. Für die U20 ist es die erste Teilnahme an einer WM überhaupt.

Doch vor allem der Nachwuchs im israelischen Fußball ist mittlerweile erfolgreich: Bei der U19-EM 2022 erreichte das Team erstmals das Halbfinale und schließlich das Finale. Im September 2022 qualifizierte sich die U21 für die EM, es war erst das dritte Mal, dass Israel dies gelang.

GESCHICHTE Doch mit dem jetzigen Einzug ins Halbfinale einer WM haben Israels Jungstars definitiv Geschichte geschrieben. »Ich bin 48, und seit ich zehn Jahre alt war, träume ich davon, nach Argentinien zu kommen, um Fußball zu spielen«, gestand Haim bei der Pressekonferenz nach der Ankunft in Buenos Aires.

Vor allem der Nachwuchs im israelischen Fußball ist mittlerweile erfolgreich.

»Die israelische Fußballnationalmannschaft ist das repräsentativste Team des Turniers, weil sie sich aus der Vielfalt zusammensetzt, die den Staat Israel ausmacht, einen Staat aller seiner Bürger, unabhängig von Religion oder ethnischer Zugehörigkeit«, hob Alejandro Mellincovsky hervor, Direktor für spanischsprachige Länder bei der World Zionist Organization, der die Begrüßungsveranstaltung organisiert hatte.

Dabei sollte das Turnier ursprünglich nicht in Argentinien stattfinden, sondern in Indonesien. Doch das muslimische Land hatte Einwände gegen die Teilnahme Israels erhoben und argumentierte, es habe der Ausrichtung des Turniers zugestimmt, bevor es wusste, dass Israel sich qualifizieren würde. Als Reaktion darauf entzog die FIFA, die globale Fußballorganisation, die die Weltmeisterschaft veranstaltet, Indonesien im März die Austragungsrechte.

»Wir wussten, dass Indonesien uns ablehnen würde, aber wir waren zuversichtlich, Israel überall mit Stolz zu vertreten«, lautete Haims Kommentar dazu. Torschütze Dor Turgeman streckte nach seinem Treffer auf dem Spielfeld gar die Zunge heraus. Aus Freude und vor Erleichterung, sicherlich. Doch vielleicht auch ein wenig in Richtung Indonesien.

WIDMUNG Wie so oft lagen auch an diesem Tag in Israel Trauer und Freude eng beieinander. Am Tag des Sieges wurden drei junge israelische Soldaten an der ägyptischen Grenze getötet. In diesem Bewusstsein gaben die Teammitglieder in ihrer Pressekonferenz nach dem Spiel bekannt, dass sie ihren Erfolg der Erinnerung an die Soldaten widmen würden, die genau in ihrem Alter waren, 19 und 20 Jahre. Der Star des Teams, Dor Turgeman, schrieb eine Hommage an die Soldaten auf seine Handgelenkbandage und hielt sie in die Kameras.

Diese jungen Männer spielen als ein Team, egal ob sie Hebräisch oder Arabisch sprechen.

Dieser Sieg ist nicht nur für die israelische Gesellschaft von großer Bedeutung. Auch sportlich mache er viel her, meint der Fußball-Experte von RTL, Teamleiter im Ressort Sport, Guido Wüstemann. »Es scheint kein Zufall zu sein, dass Israels U20-Nationalmannschaft im Halbfinale der WM steht. Seit einigen Jahren sind israelische Nachwuchsmannschaften international sehr erfolgreich und wecken im Land die Hoffnung auf eine ›goldene Generation‹, auch mit Blick auf die A-Nationalmannschaft.«

Der aktuelle Erfolg ist seiner Meinung nach stark mit Trainer Ofir Haim verknüpft. »Der frühere Stürmer und Torschützenkönig der israelischen Liga führte die U19 ins EM-Finale und jetzt die U20 ins WM-Halbfinale. Für ein kleines Land wie Israel sind das riesige Erfolge.« Dahinter stecke zweifelsohne eine professionellere Jugend-Förderung im israelischen Fußball, als dies früher der Fall gewesen sei, weiß er. »Und das zahlt sich nun aus.«

VERSTÄNDIGUNG Was auf dem Rasen leicht aussieht, ist in der alltäglichen Realität Israels allerdings oft schwer oder gar unmöglich zwischen jüdischen und arabischen Bewohnern: die Verständigung. Doch diese jungen Männer, alle zwischen 18 und 20 Jahre alt, spielen als ein Team – egal ob sie aus Tel Aviv, Jerusalem, Rahat oder Um Al-Fachem stammen und sich in ihren Familien auf Hebräisch oder Arabisch unterhalten. Eine Selbstverständlichkeit ist das in Israel nicht. Und das macht diese Sensation umso bedeutender.

Viele loben Trainer Haim dafür in den höchsten Tönen. Zu seiner persönlich größten Herausforderung gehöre es, Vater eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen zu sein. Gelegentlich spricht er über seine »Verzweiflung«, darüber, dass er manchmal nicht mehr weiterwusste. Diese Offenheit sei eine immense Inspiration für das Team gewesen, heißt es.

Alle Augen sind nun auf das Halbfinale am Donnerstag gegen die USA oder Uruguay gerichtet. Nach dem Sieg gegen Brasilien scheint alles möglich. Und auch, wenn der Traum Israels, den Pokal bei einer Fußballweltmeisterschaft in Händen zu halten, dieses Mal nicht in Erfüllung gehen sollte: Der bisherige Erfolg des U20-Teams verdient in jedem Fall eine Goldmedaille für die Koexistenz in Israel.

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