Die Neuformulierung des Karfreitagsgebets und der Fall Williamson hatten das Verhältnis zwischen Vatikan und Juden erheblich getrübt. Vor wenigen Wochen wurde der vor einem Jahr abgebrochene Dialog auf höchster Ebene wieder aufgenommen.
Der Präsident der italienischen Bischofs-konferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, traf sich kürzlich in Rom mit dem Vorsitzenden der italienischen Rabbinerkonferenz, Rabbiner Giuseppe Laras, und dem römischen Oberrabbiner Riccardo Di Segni. Dabei dementierte Bagnasco kategorisch alle Gerüchte über einen »Kurswechsel« im Vatikan. Im Verhältnis zwischen Kirche und Juden gebe es keine Veränderung. Der mit dem Konzil begonnene Kurs des Dialogs und der Annäherung werde unbeirrt weitergeführt. Die durch das Karfreitagsgebet genährte Befürchtung, die katholische Kirche beabsichtige eine Bekehrung der Juden, sei »völlig haltlos«, versicherte Bagnasco.
Gleichzeitig äußerte der Kardinal Besorgnis über die Zunahme antisemitischer Übergriffe. Diese sollten für beide Religionen einen Ansporn darstellen, ihre gegenseitigen Beziehungen zu festigen.
Der für Ökumene und Dialog zuständige Bischof Vincenzo Paglia erklärte, nach dem Wunsch des Papstes sollte der Dialog die bestehenden Meinungsverschiedenheiten weder ignorieren noch kleinreden: »Das reiche gemeinsame Erbe, das brüderliche Verhältnis und das gegenseitige Vertrauen verpflichet Juden und Christen zu wachsendem Einvernehmen, zum gemeinsamen Einsatz für Menschenrechte, den Schutz des Lebens, die Werte der Familie sowie für Frieden und soziale Gerechtigkeit.«
Rabbiner Giuseppe Laras äußerte Genugtuung über die Wiederaufnahme der Gespräche: Zwar seien die Beziehungen zwischen den beiden Religionen nie ganz abgerissen, doch die Polemik um das Karfreitagsgebet habe zu einer deutlichen Abkühlung geführt. Ein Bruch wäre ein fatales Signal gewesen und hätte sicher anti- semitische Aktionen seitens religiöser Fanatiker provoziert. »Der Dialog, auf den wir großen Wert legen, wird jetzt fortgesetzt – nicht nur auf offizieller Ebene, sondern in all den vielfältigen Begegnungen und Initiativen auf lokaler und regionaler Ebene, die bereits fast alltäglich sind.«
Als sichtbares Zeichen gegenseitiger Annäherung möchte der Papst der römischen Synagoge am 17. Januar 2010 einen Besuch abstatten und sich dort mit der jüdischen Gemeinde der Hauptstadt treffen. Es handelt sich um den ersten Besuch Joseph Ratzingers in einer italienischen Synagoge. Roms Oberrabbiner Riccardo di Segni sieht darin eine »bedeutende Geste der Aufmerksamkeit«. Er hoffe, dass der Papst die Gelegenheit zu einer Rede von »großer spiritueller Tragweite« nutze.
Der Chefredakteur des Vatikan-Tageblatts »Osservatore Romano«, Giovanni Maria Vian, spricht in einem Leitartikel für die neue jüdische Monatszeitung »Pagine ebraiche« von einem »Besuch des Herzens und der Vernunft«. Ratzinger habe »zunächst als Theologe, später als Kardinal und Papst wesentlich zur Annäherung der beiden Religionen beigetragen«.
Rabbiner Giuseppe Laras drückt sich weniger euphorisch aus: »Der Dialog geht eigene Wege und hat mit dem Besuch des Papstes nichts zu tun.« Ganz gewiss handele es sich um ein wichtiges Ereignis. »Aber wer es mit dem Besuch Johannes Pauls II. im Jahre 1986 vergleicht, ist auf dem Holzweg. Die Geste Karol Wojtylas war ein epochales Ereignis im Verhältnis unserer Religionen.« Gerhard Mumelter
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