Henry Ries

Gesicht zeigen

von Bettina Piper

Zwei Kinder. Der Junge mit Schiebermütze und kurzen Hosen, das Mädchen mit einem viel zu gr0ßen Pelzmantel. Beide Gesichter suchend, fragend. Die Augen auf etwas gerichtet, das dem Betrachter verborgen bleibt. Hinter ihnen eine Rotkreuzschwester, die ihre Hände dem Mädchen teilnahmslos auf die Schultern legt.
Entstanden ist das Bild am 9. September 1947, während des Transports jüdischer Flüchtlinge ins Displaced-Persons-Lager Pöppendorf. Der Fotograf: Henry Ries. In diesem Jahr wäre der bekannte New Yorker Fotojournalist 90 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeigt das Willy-Brandt-Haus in Berlin-Kreuzberg jetzt 50 seiner Arbeiten. Es sind Bildreportagen über das Schicksal der Passagiere des berühmt gewordenen Schiffes »Exodus« und das Wiener Rothschild-Spital, das nach Kriegsende zum provisorischen Auffanglager für 250.000 jüdische Flüchtlinge wurde. Ries’ Frau Wanda hat die Fotos ausgewählt, Daten recherchiert, das Ausstellungskonzept erarbeitet – und hofft, dass die Bilder später einmal in Israel zu sehen sein werden. »Vielleicht erkennt sich ja jemand darauf wieder.«
Henry Ries (1917-2004), Sohn einer bürgerlichen jüdischen Familie in Berlin, emigriert 1938 in die USA, wird amerikanischer Staatsbürger und Freiwilliger der US-Airforce. Ende des Zweiten Weltkriegs wird er nach Europa und in seine Heimatstadt Berlin versetzt. 1946 arbeitet er als Fotojournalist einer Nachrichten-Illustrierten der amerikanischen Militärregierung. Seine vielbeachteten Reportagen machen ihn schnell bekannt. Noch im selben Jahr geht er als Fotoreporter zur New York Times. Ries dokumentiert Kriegsende und Alltagsleben der Deutschen in einem zerstörten Land, die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse und die Berlin-Blockade. Sein Foto von einem zur Landung in Tempelhof ansetzenden »Rosinenbomber« wird zur Ikone der Luftbrücke. In dieser Zeit entstehen aber auch Bilder über den Leidensweg der jüdischen Holocaust-Überlebenden, der mit der Befreiung Deutschlands von der nationalsozialistischen Herrschaft am 8. Mai 1945 noch kein Ende hatte.
Zwei Jahre später, im Sommer 1947, macht Ries seine »Exodus«-Bilder. Mit 4.500 jüdischen Flüchtlingen an Bord wurde das Schiff von britischen Soldaten im Hafen von Haifa gewaltsam an der Landung gehindert und zur Rückkehr nach Europa gezwungen. So betraten die Passagiere unfreiwillig wieder deutschen Boden. Von Hamburg aus wurden sie in die Internierungslager »Pöppendorf« und »Am Stau« bei Lübeck gebracht. Henry Ries hat diese Menschen, trotz aller Verbote der britischen Militärpolizei, fotografiert: wie sie verängstigt und verstört die vergitterten Bahnsteige entlanglaufen und auf Lastwagen verfrachtet werden. Den zwei Dutzend Bildern ist anzusehen, dass sie in Hast entstanden sind. Manchmal sind sie unscharf. Dennoch zeugen sie von Verwirrung, Angst und Demütigung. Menschliches Leid, ins Gesicht geschrieben.
Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich dem Wiener Rothschild-Spital. Hunderttausende jüdischer Flüchtlinge warteten hier auf ihre Emigration nach Palästina. Henry Ries zeigt, wie sie essen und trinken, sich auf der Krankenstation behandeln lassen und in der Synagoge beten. Menschen, die warten und hoffen, kommen und gehen. Menschen, in deren Blicken man die Frage zu erkennen glaubt: »Wie geht es weiter?« Ries gilt als Vertreter der klassischen Fotoreportage. Immer hat er sich den Porträtierten auf Augenhöhe genähert. »Ich bin kein Fotograf von Neuigkeiten, mich interessieren Menschen und ihre Schicksale«, sagte er einmal über seine Arbeit. Der Fotograf als Aufklärer – das hat Henry Ries über Jahrzehnte hinweg angetrieben.

»Unvergessliche Momente Holocaust-Überlebender«: Ausstellung vom 20. September bis 28. Oktober 2007, Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße 28 in Berlin-Kreuzberg.
www.freundeskreis-wbh.de

Berlin

Antisemitische Farbschmiererei an Hauswand in Berlin-Mitte

Die Gedenktafel in der Max-Beer-Straße ist Siegfried Lehmann (1892-1958) gewidmet

 14.03.2025

Berlin

Bundesregierung begeht Gedenktag für Opfer von Terror

Im Auswärtigen Amt werden dazu Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erwartet

 11.03.2025

München

Mann soll Plagiat wegen Obduktion seiner toten Mutter inszeniert haben

War es ein irrer Racheplan? Ein Mann soll mit der Fälschung eines Buches einem Rechtsmediziner geschadet haben. Seine Verteidigung fordert Freispruch – und auch er selbst äußert sich sehr ausführlich.

 07.03.2025

Hamburg

Wähler lassen AfD rechts liegen, Zeichen stehen auf Rot-Grün

In Hamburg hat Bürgermeister Tschentscher (SPD) weiterhin den Hut auf. Die AfD gewinnt Stimmen hinzu, bleibt aber vergleichsweise schwach

von Markus Klemm, Martin Fischer  03.03.2025

Israel

Tausende Israelis demonstrieren für die Freilassung der Geiseln

Die erste Phase der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas endet ohne eine Vereinbarung über eine Fortsetzung

 02.03.2025

Berlin

Geräuschlose Premiere: Schwarz-Rot sondiert still und leise

Möglichst bis Ostern soll die neue Bundesregierung stehen. Kein Selbstläufer, denn im Wahlkampf gab es viele Verletzungen. Wie problematisch diese sind, zeigt eine Umfrage in der SPD

von Marco Hadem  28.02.2025

Berlin

Entscheidung über Samidoun-Verbot dieses Jahr

Der Verein Samidoun, das Islamische Zentrum Hamburg, »Compact« - das Bundesinnenministerium hatte zuletzt eine Reihe von Vereinsverboten erlassen. Über einige wird demnächst entschieden

 26.02.2025

Berlin

Zentralrat der Muslime verurteilt Attacke am Holocaust-Mahnmal         

Am Freitag wurde ein Mann am Holocaust-Mahnmal in Berlin Opfer einer Messerattacke. Ermittler gehen von einem antisemitischen Hintergrund aus

 24.02.2025

Bundestagswahl

Orban gratuliert Weidel - und nicht Merz  

Ungarns Regierungschef hat AfD-Chefin Weidel kürzlich wie einen Staatsgast empfangen. Sie ist auch diejenige, an die er nach der Wahl in Deutschland seine Glückwünsche richtet

 24.02.2025