Weltwirtschaftskrise

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

von Ingo Way

Der 15. September 2008 wird als ein ebensolcher Wendepunkt in die Geschichte eingehen wie 9/11. Davon ist Stanley Fischer, der israelische Notenbankchef, überzeugt. Denn an jenem Herbsttag beschloss die US-Regierung, die traditionsreiche Investmentbank Lehman Brothers nicht vor dem Konkurs zu retten, in den sie sich im Zuge der Finanzkrise manövriert hatte. Damit hatte niemand gerechnet. Hatte es doch geheißen, Großbanken wie Lehman Brothers seien »too big to fail« – zu groß, um sie scheitern zu lassen. Eher würde der Staat ein- greifen, als durch das Pleitegehen von Großbanken einen Zusammenbruch des Finanzsystems zu riskieren.
Der Journalist Rainer Hank, Leiter der Wirtschaftsredaktion der FAZ, analysiert in seinem Buch Der amerikanische Virus, wie es zu der Finanzkrise, die sich zur Weltwirtschaftskrise ausweitete, kommen konnte. Eines kann schon einmal verraten werden: In den Schwanengesang derjenigen, die die »Gier« von Spekulanten für die Krise verantwortlich machen oder gleich das gesamte marktwirtschaftliche System am Ende sehen, stimmt Hank nicht ein.
Vehement widerspricht Hank der Auffassung, die aktuelle Krise bedeute ein Versagen des Marktes. Grund der Immobilienkrise war laut Hank »der erklärte politische Wille der amerikanischen Regierung, jedem Bürger den Traum vom eigenen Heim zu verwirklichen«. In diesem Sinne war der Krisen-Virus ein amerikanischer. »Die beiden Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac, halb staatliche Unternehmen ... hatten ausdrücklich den Auftrag, für die Umsetzung dieses Traumes zu arbeiten.« Und diese beiden gingen als Erste pleite, nachdem zahlreiche Schuldner ihre Immobilienkredite nicht zurückzahlen konn- ten. Der Gier verfallen waren mithin nicht nur ominöse Finanzhaie, sondern ebenso der kleine Häuslebauer, der glaubte, risikolos zum Eigenheim zu kommen.
Dennoch sind Krisen nicht nur negativ zu sehen, wie Hank betont. Die Dotcom-Blase der New Economy in den 90er-Jahren hinterließ zwar einigen Flurschaden. Was blieb, war aber die Welt des Internet, wie wir sie heute kennen und die keiner mehr missen will, der bei Ebay oder Amazon einkauft, bei Google nach Informationen sucht oder sich bei Facebook mit Freunden vernetzt – den großen Gewinnern jener Krise.
Mit Rückgriff auf die von dem Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman mitbegründete Verhaltensökonomik erklärt Hank die aktuelle Krise auch als Krise des Vertrauens. Warum schaffte es der Börsenmakler Bernie Madoff, reihenweise Anleger zu betrügen, obwohl man doch mit gesundem Menschenverstand hätte ahnen müssen, dass sein Schneeballsystem nicht funktioniert? Viele seiner Kunden, meint Hank, vertrauten ihm, weil er einer der Ihren war: ein Jude von der Ostküste, und weil gemeinsame Bekannte ihm auch vertrauten.
Als dann auch noch der Staat Lehman Brothers nicht rettete, sackte das Vertrauen auf null und die Aktienmärkte brachen beinahe zusammen. Soll der Staat also notleidenden Banken helfen, um die Gesamtwirtschaft zu retten? Dadurch entstünde wiede- rum das Dilemma, dass Banken unverantwortlich handeln – weil sie ja nicht scheitern können – und die nächste Blase produzieren. In diesem Sinne gilt der Untergang von Lehman Brothers als Warnung an andere, lieber selbst für ausreichende Haftung zu sorgen.
Aber wie können wir denn nun den nächsten Crash verhindern? Gar nicht, meint Hank. Krisen gehören zur Marktwirtschaft. Damit müssen wir leben, weil jede Alternative viel schlimmer wäre. Was wir aber lernen können: Jeder sollte selber für die Schulden haften, die er macht. Sowohl Unternehmen und Banken als auch kleine Leute. Und der Markt muss den Ordnungsrahmen setzen, in dem die Spielregeln festgelegt werden.

rainer hank: der amerikanische virus. wie verhindern wir den nächsten crash?
Blessing, München 2009, 242 S., 16,95 €

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in München

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt traditionell einmal im Jahr zusammen – am letzten Sonntag im November

 23.11.2024

Berlin

Nan Goldin eröffnet Ausstellung mit Rede über Gaza-Krieg

Die umstrittene Künstlerin nennt Israels Vorgehen »Völkermord« – »propalästinensische« Aktivisten schreien Museumsdirektor nieder

 23.11.2024 Aktualisiert

Erfurt

CDU, BSW und SPD legen in Thüringen Koalitionsvertrag vor

Wegen der Außenpolitik des BSW ist das Bündnis umstritten

 22.11.2024

Debatte

So reagiert die EU auf die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant

Bei einem Besuch in Jordanien hat sich der EU-Außenbeauftragte Borrell zum Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Netanjahu geäußert - mit einer klaren Botschaft

 21.11.2024

USA: »Wir lehnen die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs für die Situation grundsätzlich ab«

 21.11.2024

Niederlande: Wir würden Netanjahu festnehmen

 21.11.2024

Haftbefehl gegen Netanjahu: Kanada will Gericht folgen

 21.11.2024

Berlin

Scholz soll am Montag als Kanzlerkandidat nominiert werden

Nach dem Verzicht von Verteidigungsminister Boris Pistorius soll Bundeskanzler Olaf Scholz am kommenden Montag vom SPD-Vorstand als Kanzlerkandidat für die Neuwahl des Bundestags nominiert werden

von Michael Fischer  21.11.2024

New York

USA blockieren Gaza-Resolution, Israel bedankt sich

Israels UN-Botschafter Danon: »Resolution war Wegbeschreibung zu mehr Terror und mehr Leid«

 21.11.2024