von Andreas Klinger
Spanien schmückt sich. Seit einiger Zeit saniert das Land verstärkt seine ehemaligen Judenviertel, die sogenannten Juderías. Auf den ersten Blick überrascht das, da die Zahl der Juden im Land zu den niedrigsten der EU gehört. Laut Schätzungen der Bewegung gegen Intoleranz leben lediglich 20.000 bis 40.000 Juden in Spanien, was gerade mal 0,05 bis 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht.
Gleichwohl hat das Engagement gute Gründe. Einerseits soll die Wiederherstellung des hebräischen Kulturerbes den Tourismus ankurbeln, wie es eine Fülle neuer Kultur- und Gastronomierouten sowie Musik- und Kinofestivals in zahlreichen Städten belegt. Andererseits soll es, so hat Außenminister Miguel Angel Moratinos wiederholt betont, ein Beitrag dazu sein, eine »historische Schuld« abzutragen – nämlich die Ausweisung der jüdischen Bevölkerung im Jahr 1492 durch Isabel von Kastilien und Fernando von Aragón. Vor allem aber rundet der Versuch, das damalige Unrecht wenigstens symbolisch wieder- gutzumachen, Spaniens zögerliche Bemühungen ab, mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur (1939-75) erstmals seine faschistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Welch enormen Nachholbedarf das Land in dieser Hinsicht hat, wird vor allem daran deutlich, dass der Völkermord an den Kindern Israels bis vor zwei Jahren politisch komplett ignoriert wurde. Erst 2005 nahm zum ersten Mal ein spanischer Regierungschef an einer Holocaust-Gedenkfeier teil: Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero besuchte das österreichische Konzentrationslager Mauthausen, in dem auch 5.000 spanische Oppositionelle ermordet wurden.
Hauptgrund für diese reichlich verspätete Geste war, dass Spaniens Intellektuelle in den ersten Jahren der Diktatur entweder ermordet oder ins Exil vertrieben wur- den. In den Jahrzehnten danach erfolgte auch keine wissenschaftliche Vergangenheitsbewältigung, sondern vielmehr eine umfassende Vergangenheitsbeschönigung durch das Regime. Das hatte die Folge, dass mangels Richtigstellung noch heute unzählige Straßen und Plätze nach Franco benannt sind. Es gibt sogar eine »Nationalstiftung Francisco Franco«, die unter Führung seiner Tochter Carmen für die Opfer schier unerträgliche Lobeshymnen über ihn veröffentlicht – und für ihre Stiftung sogar Geld vom Staat bekommt.
Fast ebenso haarsträubend ist, dass die spanische Verfassung nach der strikten Zensur während der Diktatur die Meinungsfreiheit so stark schützt, dass selbst die radikalste Neonazi-Propaganda und sogar Hitlers Mein Kampf rechtlich gesehen völlig legitime politische Meinungsäußerungen darstellen. Sanktionen sind ausschließlich dann möglich, wenn ausdrückliche Gewaltaufrufe damit verbunden sind. Vor die- sem Hintergrund wirkt es wahrlich wie ein Wunder, dass antisemitische Übergriffe laut der EU-Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Spanien so gut wie inexistent sind. Lediglich gelegentliche Schmierereien an den Synagogen in Madrid und Barcelona und »latente antisemitische Haltungen infolge des Nahostkonflikts und der Präsenz radikal propalästinensischer Organisationen« hat die EU-Behörde in einem Bericht über die Lage in den Jahren 2001 bis 2003 ausgemacht.
Zweifellos spiegelt diese deutlich bessere Situation als in Ländern wie etwa Deutschland oder Frankreich hervorragend wider, wie sehr sich die spanisch-israelischen Beziehungen verbessert haben, seit Spanien 1986 als letztes west- liches Land den Staat Israel anerkannte und den jüdischen Gemeinden 1992 per Gesetz umfangreiche Steuererleichterungen und Subventionen einräumte.
Die jüngsten Höhepunkte dieser Entwicklung waren im Februar die Eröffnung der neuen Kulturaustauschinstitution Casa Sefarad-Israel in Madrid und im April die Einweihung des spanienweit ersten Holocaust-Denkmals in der Hauptstadt. Begünstigt wurde das auch dadurch, dass die jüdische Gemeinde in Spanien infolge der massiven Zuwanderung aus Lateinamerika in den letzten Jahren um gut ein Fünftel spürbar gewachsen ist. Gleichwohl gibt es weiter bedeutende Lücken. Das beste Beispiel ist, dass die Spanier bei der Einkommensteuererklärung angeben können, ob sie ihre Kirchensteuer für die katholische Kirche oder für soziale Zwecke abführen, aber keine Möglichkeit haben, andere Religionen zu unterstützen. Oder dass so herausragende Kulturschätze wie Barcelonas mittelalterliche jüdische Bäder heute als Möbelgeschäft und Cafeteria zweckentfremdet werden. Die katalanische Metropole, deren Judería 1391 fast komplett niedergebrannt wurde, will dies beheben und auf diese Weise ausdrücklich anerkennen, dass die Juden »mit am meisten zur Kultur Europas und zur westlichen Zivilisation insgesamt« beigetragen haben, so heißt es auf ihren Internetseiten. Sicherlich ist dies lobenswert, leider aber mit einem krassen Schönheitsfehler behaftet. Sehr zum Ärger der Juden geschieht dies bislang ohne Beteiligung der jüdischen Gemeinden. Die bleiben bei der visuellen Renaissance des Judentums in Spanien außen vor.