von Wladimir Struminski
Israel Perry ist ein berühmter Mann. Oder, genauer, berüchtigt, und zwar wegen skrupelloser Bereicherung an ahnungslosen Mandanten, großenteils Holocaust-Überlebenden. Dementsprechend groß waren die Schlagzeilen, mit denen israelische Medien das gegen Perry in der vergangenen Woche vom Tel Aviver Bezirksgericht verhängte Strafmaß verkündeten. »Zwölf Jah-
re drin!«, schrie in einer Balkenüberschrift sogar die sonst verhaltene Wirtschaftszeitung »Globes« auf Seite eins. In der Ur-
teilsbegründung rügte Richter Secharia Kaspi, der Angeklagte habe unter Aus-
nutzung des deutsch-israelischen Abkom-
mens über soziale Sicherheit 320 Millio-
nen DM von seinen Kunden gestohlen. Die relevanten Paragrafen des israelischen Strafgesetzbuches lauten »Betrug unter er-
schwerenden Umständen« und »Diebstahl durch einen Bevollmächtigten«.
Der Fall in Kürze: 1980 trat die »Ver-
einbarung zur Durchführung des Abkom-
mens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel über soziale Sicherheit« in Kraft. Danach erhielt jeder Israeli das Recht, sich in die deutsche Rentenversicherung einzukaufen. Zuerst machten nur wenige von diesem Recht Gebrauch. Kurz vor Ablauf der Anmeldefrist im Jahre 1983 aber starteten Perry und der Berliner Anwalt Frank Reppenhagen eine massive Anwerbeaktion. Mit Großanzeigen lockten sie rund 12.000 Israelis in Büros der von Perry gegründeten »Organisation zur Durchführung des Sozialabkom-
mens Deutschland-Israel« – in Wirklichkeit eine Tarnung für Perrys eigene Kanzlei. Dort wurde den Kunden, vor allem älteren Menschen, nicht nur der deutsche Rentenantrag zur Unterschrift vorgelegt. Die meisten wurden auch zur Aufnahme eines überteuerten Darlehens für den Einkauf in die deutsche Rentenversicherung gedrängt, auch wenn sie den Kredit nicht brauchten. Für den Fall eines vorzeitigen Ablebens schlossen sie auch eine Lebensversicherung ab.
Was die Antragsteller nicht wussten: Die in der Steueroase Isle of Man angesiedelte Finanzierungsgesellschaft gehörte dem Anwalt selbst. Auch an den Versicherungspolicen. verdiente er mit – und zwar bestens. Vor einigen Monaten widmete die größte Zeitung des Landes, Yedioth Ahronoth, Perrys luxuriösem Lebenswandel eine Sonderreportage. Ganz anders die Betrogenen: Jahrelang sahen sie nur einen Bruchteil der ihnen bewilligten deutschen Sozialrente. Der Rest wanderte in Perrys Tasche. Unterdessen strichen die israelischen Sozialämter vielen Betroffen die Armenbeihilfen. Schließlich, so ihr Argument, bekämen sie Geld aus Deutschland. Wer den Knebelvertrag aufkündigte, wurde von Perry vor Gericht gezerrt. So etwa Dwora Reichert, deren karges Vermögen zu Perrys Gunsten be-
schlagnahmt wurde. Da wurde es der ehemaligen Insassin des Warschauer Ghettos zu viel: Sie verklagte Perry und wurde zur Speerspitze eines langen Justizkrieges gegen den vermeintlichen Wohltäter. Allerdings war das »unter dem Tarnmantel von Seriosität und Eloquenz geschaffene Lügengespinst« – so das Tel Aviver Gericht – so ausgeklügelt, dass die Ermittler bei der Findung stichhaltiger Beweise große Mühe hatten. Noch im Jahre 2002 vermochte Israels vielleicht größter lebender Jurist, der damalige Präsident des Obersten Gerichts, Aharon Barak, an Perrys Verträgen keinen grundlegenden Mangel zu finden. Das ganze komplexe Bild des Betrugs trat erst nach zermürbenden Ermittlungen zutage. Perry selbst ficht das nicht an. »Ich habe Fehler gemacht«, erklärte der Anwalt, mehr nicht. Strafrechtlich relevantes Verhalten weist er weit von sich und will in die Berufung gehen.
In der Öffentlichkeit löste das Urteil ge-
mischte Reaktionen aus. »Ich freue mich, dass die Gerechtigkeit obsiegt hat«, erklärte die Knessetabgeordnete Colette Avital, führende Fürsprecherin von Holocaust-Überlebenden im Parlament. Ihr Kollege Swulun Orlew kritisierte jedoch, dass das gegen Perry ebenfalls verhängte Bußgeld von umgerechnet viereinhalb Millionen Euro der Staatskasse zufallen soll. Statt-
dessen, so der Deputierte, müsse der Be-
trag den Geschädigten zugutekommen. Auch unter den Betrugsopfern schwankt die Stimmung. »Ich empfinde keine Freu-
de, aber es geschieht ihm recht«, erklärte Dwora Reichert nach der Urteilsverkün-
dung. Eine ebenfalls im Gerichtssaal an-
wesende Leidensgenossin namens Rosa bemängelte aber, das Strafmaß sei »zu mild«. Lebenslänglich, meinte auch der Rentner Schimon, wäre das passende Urteil. »Bei zwölf Jahren Haft sitzt Perry einen Tag pro 75.000 gestohlene Mark ab. Das ist ein Witz.«