richtlinien

Geschichtsbewusst

Es war keine einfache Reise ins Land der Täter und Verräter, wo ein Teil seiner Familie umgebracht worden war. Menschen, die er nie gesehen hatte und doch aus Erzählungen gut zu kennen glaubte. Vor vier Jahren war Omer mit dabei. Als Teil des Geschichtsunterrichtes seiner Oberschule besuchte er eine Woche lang Polen, darunter auch Auschwitz. Der damals 17-Jährige erinnert sich: »Ich hatte gar keine genaue Vorstellung davon. Und dann war ich auf einmal dort.« Er habe sich unvorbereitet und al-
leingelassen gefühlt und statt auf Bildung eher auf Party gesetzt. Genau so etwas soll nicht mehr passieren. Das Erziehungsmi-
nisterium hat neue Richtlinien für die jährlichen Polenreisen erarbeitet, die für bessere Vor- und Nachbereitung sorgen sollen.
Allabendlich betrank sich Omer mit seinen Klassenkameraden in den Hotelzimmern, zog teils grölend durch die Diskotheken der Ortschaften. »Wir wussten ehrlich gesagt überhaupt nicht, was wir da taten. Da war der Schmerz, an diesem unerträg-lichen Ort zu sein, und wir hatten keine Ahnung, wie wir damit umgehen sollten.« Omer und seine Freunde sind nicht die Einzigen. Nahezu jedes Jahr sind Fälle bekannt geworden, in denen sich israelische Jugendliche in Polen unangemessen verhalten haben. Sei es durch lautes Lachen bei den Ge-
denkzeremonien, durch wilde Partynächte oder Vandalismus in Hotels.
Mehr als 25.000 Jugendliche der Klassen elf der Gymnasien aus sämtlichen Teilen des Landes reisen jedes Jahr nach Polen und besuchen dort ehemalige KZs und Ghettos. Oft schon haben sich mitreisende Lehrer beklagt, im Vorfeld nicht ge-nügend Vorbereitung erhalten zu haben.
Die Werkzeuge, um mit den teils extremen emotionalen Erfahrungen der Reise umgehen zu können, sollen die Schülerinnen und Schüler nun bekommen. Eli Shaish, Leiter der Polendelegation im Bildungsministerium, entließ denjenigen, der seit 20 Jahren für die Reisen zuständig war, und will sich den ungeklärten Fragen stellen, sagt er. »Natürlich kommen Unsicherheiten, Ängste und Fragen auf, wenn die Kinder tagsüber in Treblinka waren und abends in ihren Hotelzimmern sitzen. Da dürfen sie auf keinen Fall alleingelassen werden.« Es werde jetzt immer Gesprächskreise mit Lehrern und Betreuern geben. Gemeinsam mit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat das Ministerium Kurse erarbeitet.
Jeder, der teilnimmt, muss sich zuvor mit einem Thema zum Schoa-Gedenken befassen und ein Referat darüber halten. Zudem sollen die Jugendlichen vor der Fahrt im Allgemeinen besser vorbereitet und begutachtet werden, wenn nötig gebe es Gespräche mit den Schulpsychologen, erklärt Shaish. »Wir haben eine soziale und moralische Verantwortung – und nehmen sie ernst.«
Die Verantwortung der Schüler solle neuerdings vor allem durch den Kontakt mit Überlebenden nach der Reise gefördert werden. Die Teilnahme daran sei freiwillig, erklärt Shaish, doch sie werde den Jugendlichen wärmstens ans Herz gelegt.
Für die Geschichtslehrerin Idan Greenberg von der Chaklai-Oberschule in Pardes-Channa-Karkur ist all das bereits keine Theorie mehr. Seit einem Jahr gibt es an ihrer Schule eine Gruppe von 40 Mädchen und Jungen, die regelmäßig Opfer der Schoa betreut.
Bevor die Jugendlichen ins Projekt aufgenommen werden, müssen sie an einer dreitägigen Schulung mit einem Sozialarbeiter teilnehmen, zudem gibt es jeden Monat eine Stunde Gesprächsrunde mit ihm. »Das ist sehr wichtig, damit die Kinder wissen, wie man auf die Überlebenden zugeht, denn das ist wahrlich nicht immer einfach«, weiß Greenberg.
Einmal pro Woche gehen die Kinder dann in die Wohnheime und besuchen die alten Menschen. Bei sämtlichen Feiern der Schule sind die Schoa-Überlebenden jetzt dabei. Ob Purim oder die Jahresabschlussfeier – sie sind wieder Teil der Ge-
meinschaft. »Es ist eine unglaublich positive Initiative, von der alle profitieren«, meint die Lehrerin.

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