von Zlatan Alihodzic
So einfach wie platt, aber die Regel bleibt wahr: Die Zeiten ändern sich. »Das Judentum der 20er-Jahre gibt es in Deutschland nicht mehr«, sagt Norbert Reichling, Direktor des Jüdischen Museums Westfalen. »Auch wenn diese Vorstellung noch durch manche Festtagsrede schwirrt.« Für die Veränderung gibt es seit 1990 mehr als 200.000 Gründe, es sind die jüdischen Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Woher genau und warum sie nach Deutschland kamen, welche Erfahrungen sie machten, und welche Rolle die Gemeinden für diese Menschen spielen, wird nun in einem Projekt des Dorstener Museums und der Historikerin Svetlana Jebrak ergründet.
Die Forschungsarbeit mit dem Arbeitstitel »Angekommen?!« konzentriert sich auf das Ruhrgebiet. Hier haben sich die Mitgliederzahlen in manchen Gemeinden seit 1990 verzwanzigfacht. Einwanderer sind eingeladen, das Projekt mit ihrer persönlichen Lebensgeschichte zu bereichern. Bis zum Jahr 2010 soll eine Wanderausstellung entstehen.
Anfang Februar beginnt die erste Arbeitsphase – zwei Jahre sind dann seit der Fertigstellung der Projektskizze vergangen. »Es ist eine leidvolle Geschichte«, räumt Reichling rückblickend ein. Das Vorhaben sollte mit Mitteln aus dem Topf der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 finanziert werden, und die Zusage habe man im März 2008 auch erhalten. »Trotz mehrfacher Nachfrage haben wir aber nicht den Hauch einer Ahnung, wie viel Geld man uns zu geben bereit ist.« Das Integrationsministerium Nordrhein-Westfalen und die Gerda-Henkel-Stiftung sicherten nun jedoch die erste Interview-Etappe, in der mehr als 20 Menschen zu Wort kommen. »Damit können wir erst mal arbeiten«, sagt der Museumsdirektor.
Die Gespräche mit den Einwanderern führt Svetlana Jebrak. Auf Russisch, auf Deutsch – und auf Augenhöhe. Denn die Historikerin hat selbst die Hälfte ihres Lebens in der ehemaligen Sowjetunion verbracht, kam vor 18 Jahren nach Deutschland. »Das wird es den Menschen einfacher machen, uns ihre eigene Geschichte zu eröffnen«, erläutert Reichling. Besondere Auswahlkriterien müssen die Gesprächspartner nicht erfüllen. »Ob religiös oder säkular, jung oder alt, Gemeindemitglied oder nicht, das ist uns egal«, betont er. »Es wundert mich, dass sich noch niemand mit diesem biografischen Zugang den jüdischen Einwanderern zugewandt hat. Das liegt doch in der Luft«, ergänzt er. Ein wenig tue es ihm leid, die Interviews nicht selbst führen zu können, denn er erwarte sich viel Buntes und Überraschendes.
Schwerpunkt des Projekts sind die Biografien der Menschen. Die Folgen der Einwanderung sollen nicht im Mittelpunkt stehen, auch wenn gerade die lebhaft diskutiert werden. »Es gibt sicher eine Menge Probleme, zum Beispiel die Überforderung der Gemeinden, bei denen die Integrationsarbeit abgeladen wurde.« Doch auf deren Entwicklung wolle sich das Projekt nicht konzentrieren. Schließlich sei die Hälfte der Einwanderer dort nie gelandet, so Reichling. Um den vielen unterschiedlichen Geschichten der Menschen Raum zu geben, soll kein einheitlicher Katalog abgefragt werden. Die einzige Frage an die Interviewpartner soll lauten: »Erzählen Sie uns Ihr Leben.«
Zuwanderer, die im Ruhrgebiet leben und sich an dem Projekt beteiligen möchten, können sich gern telefonisch unter: 02362/ 452 79 an das Jüdische Museum Westfalen wenden. Svetlana Jebrak ist per E-Mail unter der Adresse jebrak@hotmail.com zu erreichen.