Freiheit

Geschäftsbedingung

In diesem Wochenabschnitt lesen wir von den letzten drei Plagen, mit denen Gott das Land Ägypten schlägt, an dessen Spitze der Pharao steht. Er war nicht nur König, sondern galt im antiken Ägypten sogar als Gott und Vertreter der Götzenwelt des Landes im Diesseits. So kann die Auseinandersetzung Mosches mit dem Pharao auch als ein Kampf mit den religiösen Vorstellungen der Ägypter betrachtet werden, als ein Kampf, der die Machtlosigkeit der ägyptischen Götzen demonstrieren soll.
Die vorletzte Plage zum Beispiel, die Finsternis, wendet sich direkt gegen die wichtigste ägyptische Gottheit, den Götzen Re. Wir wissen heute, dass die Ägypter überzeugt davon waren, dass nur Res Wirken das Leben auf Erden ermögliche. Sogar sein Name ist gleichbedeutend mit dem altägyptischen Wort für Sonne.
Im 2. Buch Moses 10,12 schreibt die Tora: »Und Mosche streckte seine Hand gegen den Himmel aus, da kam dichte Finsternis über das ganze Land Ägypten« – nicht über die gesamte Welt und nicht in die Häuser der Kinder Israels. Es musste also dem ägyptischen Volk klar werden, dass sein Pharao keine absolute und schon gar keine göttliche Macht besaß. Er ist inzwischen fast so weit, die Kinder Israels in die Wüste ziehen zu lassen, um Gott zu dienen. Und dieses Mal nennt der Pharao Gott bei seinem Namen »Ziehet hin, dienet Adonaj – lechu iwdu et Adonaj« (10,24). Er erkennt also an, dass es eine Macht gibt, die außerhalb seines Einflussbereichs liegt.
Mit der vorletzten Plage steht die Befreiung der versklavten Kinder Israels unmittelbar bevor. Dies weiß der jüdische Leser natürlich, auch durch die Nacherzäh- lung der Ereignisse während des Pessach-Seders. Doch bevor dieser vorläufige Höhepunkt der Erzählung über den Auszug der Hebräer aus Ägypten erreicht wird und die endgültige Befreiung erfolgen kann, fehlt noch ein wichtiger Schritt derjenigen, die befreit werden sollen, und ein letztes Zeichen an die ägyptische Bevölkerung und den Pharao, für dessen Selbstüberschätzung sein Volk zuvor schon bitter bezahlen musste.
Welcher Schritt der Hebräer fehlte noch, um aufbrechen zu können in die Freiheit? Dieser Aufbruch musste mit einer aktiven Komponente geschehen, das Volk wurde nicht befreit ohne eigenes Zutun. Auch sie mussten aktiv werden und im wahrsten Sinne des Wortes Opfer bringen und sich als Kinder Israels bekennen. Inmitten Ägyptens markierten die Hebräer ihre Häuser mit dem Blut eines geschlachteten Lamms: »Und von dem Blute sollen sie nehmen und damit die beiden Türpfosten und die Oberschwelle der Häuser bestreichen, in denen sie essen« (2. Buch Moses 12,7).
Noch sind sie nicht befreit und zeigen bereits Selbstbewusstsein und ihre Identität nach außen. Jeder Ägypter konnte nun leicht die Häuser der Angehörigen Israels erkennen. Dieser Schritt war essenziell zur Sammlung der Kinder Israels zum Volk Israel. Sie befolgen die Anweisungen Gottes und markieren ihre Häuser in der aufgetragenen Weise und beugen sich so, zum ersten Mal, nicht dem Befehl des Pharao, sondern tun das, was Gott ihnen aufgetragen hat. Und zum ersten Mal seit ihrer Versklavung schaffen sie einen Bereich, der abgesondert ist von der Vorstellungs- und Lebenswelt der Ägypter. Die markierten Türen sind diese Unterscheidung.
Im Anschluss daran folgt die letzte Plage und das letzte Zeichen an die Ägypter: die Tötung der ägyptischen Erstgeborenen. Sie demonstriert den Ägyptern und den heutigen Lesern der Tora in drastischer Weise, dass der Verlass auf falsche Götzen ins Unglück führt und das Befolgen von Gottes Anweisungen buchstäblich der Weg ist, der zum Leben führt. Letztendlich muss selbst der Pharao zugeben, dass auch sein Leben in der Hand derjenigen Macht ist, gegen die er zuvor gekämpft hat. So spricht er zu Mosche und Israel: »Auch eure Schafe, auch eure Rinder nehmt mit, wie ihr gesprochen habt und geht und segnet auch mich« (2. Buch Moses 12,32).
»Segnet auch mich – uwerachtem gam oti«, dies ist das endgültige Eingeständnis des Pharao, dass auch er nur ein Teil von Gottes Schöpfung ist und nicht ihr Ursprung und Beherrscher. Pharaos Selbstüberschätzung hat ein Ende gefunden, und so gibt er sich demütig und bittet um den Segen Israels und lässt das Volk ziehen. Er tut es nicht nur, wie man vermuten könnte, weil er sich vor weiteren, schlimmeren Plagen fürchtet. Sondern er sieht ein, dass seine Vorstellungs- und Gedankenwelt bis auf die Grundmauern zusammengestürzt ist und dass er Israel nicht übergeordnet ist, sondern Teil von Gottes Schöpfung.
Diese Lehre richtet sich an die Ägypter und an die Leser der Tora in allen Generationen: Jeder Mensch ist gleich und es gibt keine natürliche Hierarchie unter den Menschen, jeder Mensch ist »beTzelem Elohim« erschaffen worden, nach Gottes Ebenbild! So klar diese Botschaft auch ist, noch nicht alle Menschen haben sie verstanden.

Der Autor ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen und Begründer des egalitären Minjans Etz Ami im Ruhrgebiet.

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