Tempelberg

Geröll mit Geschichte

von Gil Yaron

Es ist wohl der geschichtsträchtigste Ort auf der Welt: Hier soll Abraham seinen Sohn Isaak fast geopfert, König Salomon Hof gehalten, Jesus gegen Geldwechsler gekämpft und Mohammed gebetet haben, bevor er auf einem geflügelten Pferd gen Himmel ritt. Der Tempelberg im Herzen Jerusalems ist für viele Gläubige das Zentrum der Welt, zugleich ist er ein »archäologisch schwarzes Loch«, sagt Professor Gabi Barkai von der Bar-Ilan-Universität. Obwohl in Jerusalem fast jedes Bauvorhaben schnell zu einer archäologischen Ausgrabung wird, bleibt gerade der Tempelberg weitgehend unerforscht. Das 144.000 Quadratmeter große Areal, auf dem heute die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen, ist seit der Eroberung Jerusalems durch Saladin im Jahr 1187 westlichen Forschern verschlossen.
Der Tempelberg, im Islam als Haram A-Scharif bekannt, wird von der religiösen Stiftung der Muslime in Jerusalem, dem Waqf, verwaltet. Der Waqf hält das Areal unter Verschluss. Selbst Besuche am drittheiligsten Ortes des Islam werden »Ungläubigen« erst seit rund 150 Jahren nur widerwillig gewährt, denn die Muslime reagieren allergisch auf jede empfundene Schändung des Haram. So gelang es zwar dem psychisch labilen Hobbyarchäologen Montague B. Parker 1911, den türkischen Befehlshaber der Stadt zu bestechen und so die stillschweigende Erlaubnis zu erhalten, auf der Suche nach dem sagenumwobenen Tempelschatz Salomons nachts heimlich direkt im Felsendom zu graben. Doch nach einer Woche fieberhafter Arbeit wurde er von einem Wächter entdeckt. Parker floh noch in der Nacht aus Palästina, in Jerusalem brachen Unruhen aus, die sieben Tage andauerten.
Der Weigerung liegt aber auch eine zunehmend militante islamistische Ideologie zugrunde, die Archäologie zu einem politischen Argument umfunktioniert. Solange am Haram keine archäologischen Beweise für die Existenz des Tempels gefunden werden, können die Muftis behaupten, es habe ihn nie gegeben. Sie sagen heute, der Tempel sei eine moderne jüdische Erfindung, die zum Ziel habe, den Haram dem Islam zu entreißen.
Bis zum vergangenen Jahr blieb der Berg also weitgehend unerforscht. Barkai ist deswegen besonders stolz, bereits mehr als 1.000 Kleinfunde aus dem Herzen des Har Moriah, wie er auf Hebräisch heißt, entdeckt zu haben. Dabei ermöglichte gerade eine Zerstörungstaktik des Waqf die Entdeckung der Funde. »Seit Jahrhunderten haben die Muslime den Zustand auf dem Tempelberg bewahrt und dort keine großen architektonischen Veränderungen vorgenommen«, sagt Barkai. Doch Ende der 90er Jahre, zum Höhepunkt der Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern, begann der Waqf große Bauprojekte auf dem Haram. Motivation war die Angst, im Rahmen eines Friedensabkommens Macht über Teile des geheiligten Areals an die Juden abgeben zu müssen. »Innerhalb weniger Monate öffnete der Waqf rund 50 Leerräume auf dem Berg und entfernte deren Inhalt, der die Jahrtausende alte Geschichte der westlichen Zivilisation erzählt«, erläutert der Forscher.
An der Südostecke des Berges entstand 1999 in Gewölben, die von Herodes und später den Kreuzrittern ausgebaut worden waren, die größte unterirdische Moschee Palästinas. Gleichzeitig nutzte der Waqf die Erlaubnis, einen Notausgang für die Moschee zu bauen, um umfassende Erdarbeiten vor Ort auszuführen. Der »Notausgang« ist heute ein 12 Meter tiefes Loch, das in die Südostecke des Haram getrieben wurde. Planierraupen wühlten wochenlang das Erdreich im Berg auf. Der Waqf ließ tausende Lastwagenladungen archäologisch wertvollen Gerölls auf Müllkippen in Ostjerusalem deponieren. »Es ist ein Verbrechen, das der Zerstörung der Buddhas in Afghanistan gleichkommt, aber die Welt hielt still. Dabei zerstörte der Waqf sogar alte islamische Bauten und führte zu irreparablen wissenschaftlichen Schäden«, klagt Barkai. Der Notausgang wurde zum heutigen Haupteingang der Al Marwani Moschee, gepflastert mit Jahrtausende alten Pflastersteinen, die neu zugeschnitten wurden. Es muss angenommen werden, dass dabei alte Inschriften und Reliefe zerstört wurden. Mitarbeitern der israelischen Archäologiebehörde wurde konsequent der Zugang zu den Arbeiten verweigert.
Diese Zerstörung ermöglichte Barkai seine heutige Arbeit. Von einer dünnen Plastikfolie nur dürftig vor Wind und Regen geschützt, stehen Freiwillige im Emek Zurim Park nur einen Kilometer vom Tempelberg entfernt und durchsieben Kübel um Kübel Erde, die der Waqf als Bauschutt in die Wadis vor der Altstadt Jerusalems kippte. Mit dieser Arbeit versucht Gabai, aus dem Geröll archäologische Informationen zu retten. »Alle großen Steinblöcke wurden vom Waqf zum Bau der Moschee benutzt, so können wir hier nur Kleinfunde entdecken«, erklärt Barkai. Die sind in der Regel kleiner als 5 Zentimeter, existieren aber zuhauf. Entdeckt haben sie freiwillige Helfer, die sich aus allen Bevölkerungsschichten rekrutieren. Schülergrup-
pen, Orthodoxe, Familien, Touristen und Archäologiestudenten drängen sich, um mit eigenen Händen Schätze aus dem Tempelberggeröll zu fischen. Barkai ist es einerlei, wer bei ihm den Schutt durchsiebt: »Sogar arabische Schüler waren schon hier. Jeder, der Geschichte selbst entdecken will, ist bei uns willkommen«, sagt er. Allein während des einstündigen Interviews werden 5 Münzen entdeckt, eine davon aus der Zeit des ersten jüdischen Aufstandes gegen die Römer im Jahr 67.
Manche erregende Funde scheinen direkt den Seiten der Bibel zu entspringen. Eine babylonische Pfeilspitze kann laut Barkai genau datiert werden: »Sie muss aus dem Jahr 586 vor der modernen Zeitrechnung, von der Zerstörung des Ersten Tempels, stammen. Das war das einzige Mal, dass Babylonier in Jerusalem kämpften.« Laut seiner Schätzung lassen sich 15 Prozent der Funde in die Zeit des ersten Tempels zurückdatieren. Die älteste Münze ist eine persische, auf die das Wort »Yahud« geprägt ist. Sie stammt allen Anscheins aus der Zeit der Rückkehr aus dem babylonischen Exil. »Wir haben auch eine römische Münze aus der Regierungszeit Pontius Pilatus gefunden«, so Barkai. Tongefäßscherben mit Brandspuren erzählen die Geschichte der Zerstörung des zweiten, herodianischen Tempels durch die Römer im Jahre 70. Modernere Funde, wie Kreuzfahrermedaillons, Münzen aus der Regierungszeit König Baldwin V. von Jerusalem, islamische Münzen und unzählige Schmuckstücke spiegeln den steten Streit der Weltreiche und Religionen um die Vorherrschaft in Jerusalem wider. Der älteste Fund ist die Plombe eines Geldbeutels, auf dem noch der Familienname des Eigentümers »Imer« erkennbar ist. Die einflussreiche Priesterfamilie wird im Buch Jeremias erwähnt.
Barkais Arbeit ist nicht frei von ideologischen Beweggründen, und wird von manchen Kollegen kritisch betrachtet: »Ich habe an vielen Ausgrabungen teilgenommen. Aber in Jerusalem die Wurzeln meiner Identität auszugraben, ist für mich etwas Besonderes«, so der anerkannte Archäologe. Es stört ihn nicht, dass seine Arbeit inzwischen von der militant-religiösen Siedlerstiftung Elad finanziert wird. Über seine Kontakte zu den spendenfreudigen Extremisten schweigt sich der Professor aus. Er besteht nur darauf, dass sie ihm in seiner akademischen Arbeit freie Hand geben.
Wie triftig die Vorbehalte gegenüber Barkais Arbeit auch sein mögen, die schiere Anzahl seiner Funde, die vom Bronzezeitalter bis zur Moderne reichen, und der sagenumwobene Ort, aus dem sie stammen, verleihen seiner Forschung eine einmalige Bedeutung.

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