von Marina Maisel
Anläßlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus lud die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit zum Dialog mit der Vergangenheit ein. Der 86jährige Abrascha Arnold Arluk erzählte im Gespräch mit Jürgen Zarusky, wie er die Schoa überlebte – und zugleich anderen zu überleben half.
Abrascha Arluk wuchs als Sohn einer Kaufmannsfamilie im damals noch polnischen, nach dem Hitler-Stalin-Pakt weißrussischen Lida auf. »In Polen herrschte damals ein starker Antisemitismus. Wer Geld hatte, konnte zum Beispiel in Italien studieren. Ohne Geld war es sehr schwierig«, beschrieb er die Stimmung.
Im Juni 1941 marschierten die deutschen Truppen ein. Die 707. Infanteriedivision übernahm die sogenannte Säuberung des flachen Landes, das heißt die Ermordung Tausender. Arluks Familie kam zunächst ins Ghetto Lida. »Es war Glück und Zufall«, erzählt Arluk, »daß ich die Massenerschießung überlebte.« Seine Eltern und sein Bruder kamen mit nahezu 6.000 Menschen seiner Heimatstadt ums Leben.
Eine Überlebensperspektive gab es danach nur bei den russischen Partisanen. »Für mich war es wichtig, nicht mehr im Ghetto zu bleiben. Meine polnische Aussprache hätte mich sofort verraten. Für uns waren die Partisanengruppen Überlebungsgruppen.«
Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte unterstrich dies mit einem Zitat von Arluks Cousin Zorach Arluk, dem Kommandeur einer Partisaneneinheit: »Wenn jemand behauptet, er habe sich den Partisanen angeschlossen, weil ihn das Bedürfnis zu kämpfen und Rache zu nehmen dazu getrieben habe, so ist das falsch. Wir sind alle aus dem Ghetto geflohen, um auf irgendeine Weise zu überleben.«
In diesem Überlebenskampf versuchten sie auch, anderen Juden das Leben zu retten. Abrascha Arluk erinnert sich an seinen Kommandanten Bielski. Dieser habe immer gesagt: »Bring Menschen aus dem Ghetto.«
Allein seine Einheit konnte etwa 2.000 Juden retten, die dann in Familienlagern in den weißrussischen Urwaldgebieten überlebten. »Wir waren alle bewaffnet und haben in Erdlöchern, sogenannten Semljanki, gewohnt. Es waren auch Frauen dabei. In unserer Brigade waren fünf bis sechs jüdische Frauen, die als Krankenschwestern eingesetzt wurden und sich auch um die Küche kümmerten. Unter den russischen Frauen gab es auch viele Funkerinnen«, erinnert sich Arluk.
Weißrußland war vom nationalsozialistischen Vernichtungskrieg in einem Maß betroffen wie kaum eine andere Region. Die Zahlen sagen viel. Von 10,6 Millionen Einwohnern wurden während der deutschen Besatzung von 1941 bis 1944 etwa 2,2 Millionen Zivilisten und Kriegsgefangene ermordet. Leider seien nach dem Krieg viele Fakten und Zahlen verändert und manipuliert worden, so Arluk, besonders in der sowjetischen Geschichtsschreibung, vor allem der Anteil an Juden in der Partisanenbewegung Weißrußlands. Doch langsam kristallisieren sich in den vielen widersprüchlichen Zahlen die wirklichen Verhältnisse heraus. Nach Angaben von Abrascha Arluk gab es rund 30.000 jüdische Partisanen in Weißrußland.
Nach Kriegsende wollte Abrascha Arluk nach Palästina auswandern. Doch die Zwischenstation München wurde zu seiner dauerhaften Heimat.