von Johannes Boie
und Tobias Kühn
Was bedeutet es, im Land der Schoa ordiniert zu werden – als einer der ersten drei Rabbiner, 61 Jahre nach dem Ende der NS-Zeit? »Es ist ein Sieg der Toleranz und der Menschenwürde«, sagt Malcolm Mattitiani. »Es gab Rabbinerordinationen vor dem Krieg, und es gibt sie nach dem Krieg. Wir haben es geschafft.« Für den 38jährigen ist seine Ordination auch ein persönlicher Erfolg. »Die Ausbildung am Geiger-Kolleg ist hart«, sagt er, »es geht ja nicht nur darum, Texte auswendig zu lernen. Man muß auch mit Menschen umgehen können.«
Daß er Rabbiner werden wollte, hat der gebürtige Südafrikaner direkt nach der Schulzeit gemerkt, bei einem Aufenthalt in Israel. Dort besuchte er an der Hebräischen Universität Jerusalem einen Vorbereitungskurs. Zurück in Südafrika studierte er von 1993 bis 1996 Hebräisch und Jü- dische Studien. Während Malcolm Mattitiani in Kapstadt bereits als Assistenzrabbiner arbeitete, setzte er seine Studien am Geiger-Kolleg in der Berliner Kantstraße fort. »In Deutschland zu studieren und in Südafrika zu arbeiten, hat mich gereizt.« Besonders spannend findet er die Vergangenheit Deutschlands, für ihn das Heimatland des liberalen Judentums.
»In Südafrika habe ich bereits die Arbeit eines Rabbiners gemacht, mit einem erfahrenen Mentor an meiner Seite«, sagt Mattitiani. Nach seiner Ordination wird er sich in Zukunft darum bemühen, seltene Synagogen-Besucher öfter zum Gottesdienst zu bewegen. »Wir haben in Südafrika – anders als in Deutschland – keine Herausforderungen mit Zuwanderern«, sagt er. »Ich freue mich auf meine Arbeit und möchte auch in Zukunft noch weiterlernen.«
In Kapstadt wird der neu ordinierte Rabbiner dringend erwartet. »Wir freuen uns sehr auf Malcolm«, sagt Roy Fine, der Vize-Präsident von Mattitianis Gemeinde im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Über 1.000 Familien gehören zur liberalen Temple of Israel Congregation. Die Beterinnen und Beter verteilen sich auf drei Synagogen. »Ich werde wohl ganz schön viel unterwegs sein«, sagt Mattitiani und lacht, »aber nicht mehr so oft mit dem Flugzeug.«
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Tom Kucera ist promovierter Biochemiker. Ende der 90er Jahre wurde er während eines Forschungsaufenthalts in Nashville im US-Bundesstaat Tennessee von einer Freundin gefragt, ob er sich vorstellen könne, Rabbiner zu werden. Die Freundin wäre selber gern Rabbinerin geworden, hatte aber bereits einen anderen Beruf ergriffen und fühlte sich zu alt für den Wechsel. Kucera, der eine Laufbahn als Naturwissenschaftler begonnen hatte, lachte nur.
Diese Woche ist Tom Kucera in Dresden ordiniert worden. Für ihn eine Angelegenheit von historischem Ausmaß? »Der Lauf der Geschichte«, sagt Kucera, »wird später analysiert werden. Für mich ist das alles zunächst eine persönliche Angelegenheit.«
Daß der 1970 in der mährischen Stadt Zlin Geborene doch noch Rabbiner geworden ist, hat er dem Zuspruch anderer zu verdanken. »Als mir Rabbiner Walter Jacob vom Abraham-Geiger-Kolleg erzählte, faßte ich den Entschluß, mich dort zu bewerben.« Zunächst studierte Tom Kucera jedoch zwei Jahre in Jerusalem am Pardes-Institut. Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse helfen ihm auch beim Studium von Talmud und Tora. »Vielleicht ist es eine Sehnsucht nach Struktur«, sagt der 36jährige.
Seit vergangenem Jahr hat Tom Kucera eine halbe Stelle bei der rund 250 Mitglieder zählenden Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth Shalom in München. Dort wird er auch nach seiner Ordination arbeiten. »Ich liebe die Münchner Gemeinde«, bekennt er, »sie ist selbstbewußt, die Leute sind interessiert und religiös.« Um die wenigen, die nicht so oft in die Synagoge kommen, will er sich in Zukunft ganz besonders kümmern. »Ich möchte eine Beziehung zu ihnen aufbauen.«
Dabei wird sich Kucera nur zu gern auf das Motto seiner Ordination berufen können. Den hebräischen Satz erläutert er mit Freude: »Die Bruchstücke einer Gesetzestafel – im übertragenen Sinn jüdische Atheisten – sind genau so wertvoll wie die intakten Tafeln – die aktiven Gemeinde- mitglieder.«
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Daniel Alter gehörte im Abraham-Geiger-Kolleg zu den ältesten Studenten: Er ist 47. Als er sich vor sechs Jahren für das Studium einschrieb, war sein Arbeitsvertrag als Religionslehrer an der Jüdischen Oberschule in Berlin gerade ausgelaufen. »Wenn das Geiger-Kolleg nicht hier seine Türen geöffnet hätte, weiß ich nicht, ob ich mir zugetraut hätte, an ein Rabbinerseminar ins Ausland zu gehen.«
1959 bei Nürnberg geboren, aufgewachsen in der Nähe von Frankfurt am Main, begann Daniel Alters Interesse am Judentum nicht in seiner Kindheit – und auch nicht in seiner Jugend. Nach der Barmizwa habe er sich von religiösen Dingen weitestgehend zurückgezogen, erzählt er.
Erst viele Jahre später sei er, zusammen mit einem Freund, eher zufällig zu Gottesdiensten der US-Armee in Frankfurt gegangen. »Eigentlich aus sozialen Gründen. Man konnte dort nette Leute treffen.« Wenn der Militärrabbiner anfing zu predigen, schaltete Alter ab. »Eines Tages benutzte dieser Rabbiner aber eine Metapher, die mich faszinierte: Keep your eye on the ball!« Sport-Fan Alter fühlte sich angesprochen: »Ich fand den Weg zurück zur Jiddischkeit und zur jüdischen Religion.« Zunehmend habe er sich in der Militärgemeinde engagiert und den Religionsunterricht organisiert. Dann, nach- dem die Amerikaner abgezogen waren, studierte er an der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien.
Am 17. September wird Daniel Alter als Rabbiner der Jüdischen Gemeinden Oldenburg und Delmenhorst ins Amt eingeführt. Seit knapp einem Jahr arbeitet er bereits mit ihnen zusammen: Er betet vor, hält Predigten, gibt Unterricht. »Ich bin sehr froh, daß die Gemeinde wieder rabbinisch versorgt wird«, sagt Sara-Ruth Schumann, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Oldenburg. »Es ist wichtig, daß wir beim Aufbau begleitet werden.«