von Miryam Gümbel
In Bayern kann das Schulfach Jüdische Religionslehre auch als Abitur-Leistungskurs gewählt werden. Die Absolventen dieses Jahres bewiesen zum ersten Mal, daß die Themen dabei weit über Tora und Talmud hinausgehen können. Gemeinsam mit ihrem Religionslehrer Marcus Schroll hatten die Abiturienten Themen herausgesucht, in denen sich Religion und Alltag, zum Teil auch Geschichte, miteinander verbinden ließen. An einem gemeinsamen Abend stellten sie die Themen und Inhalte der Facharbeiten ihren Eltern, Lehrern und interessierten Mitgliedern der Kultusgemeinde vor.
Jonathan Chmiel hatte sich die Konflikte zwischen Judentum und Islam als Thema gewählt. Er erläuterte die Ursachen der andauernden Spannungen anhand von Beispielen aus dem Koran und der islamischen Tradition.
Nicole Freimann schrieb über das jüdische Leben in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert. Sie dokumentierte dies exemplarisch anhand des religiösen und sozialen Lebens im Frankfurter Ghetto. Angeregt dazu hatte sie die dortige Judengasse.
Ein sehr traditionelles und zugleich aktuelles Thema beschäftigte Alisa Rubinstein. Sie beleuchtete die Flexibilität der jüdischen Auslegungstradition am Beispiel des Scheidebriefes, des Get. Wie sich dieser auswirkt und worauf man achten sollte, belegte sie durch ein Interview mit einer Betroffenen.
Ein gerade für München hochinteressantes Thema hatte sich Arthur Schwarz ausgesucht. Er stellte die Rabbiner der jüdischen Gemeinde von Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart vor. Dabei gab er zugleich einen Einblick in den Wandel des Rabbinerbildes vom Ausleger halachischer Diskussionen hin zum Seelsorger. Seine Ausführungen rundete er durch zwei Interviews ab – mit IKG-Rabbiner Steven Langnas und mit Israel Diskin, dem Rabbiner von Chabad Lubawitsch.
André Kovac stellte das Kernthema jüdischen Denkens, die Willensfreiheit, anhand der Medizinethik des Maimonides vor. Dabei gab er einen interessanten Einblick in die enge Verbindung von Philosophie und Ethik in der jüdischen Tradition.
Rebecca Nowotny erläuterte am Beispiel der pädagogischen Grundgedanken der Toragelehrten Nechama Leibowitz (1905-1997) die Bedeutung jüdischer Erziehung in der Gegenwart.
Steven Guttmann stellte in seiner Arbeit über das Leben im Warschauer Ghetto 1940-1943 das lebensbejahende Element der jüdischen Tradition in den Vordergrund. Er hatte dafür mehrmals mit den Zeitzeugen Isak Wasserstein und Oscar Rosenberg gesprochen.
Sabrina Weinreb zeigte in ihrer Arbeit zum Thema »Evolution und jüdische Tradition«, daß Wissenschaft und jüdisches Denken keinen Widerspruch darstellen, sondern ganz im Gegenteil einander sehr gut ergänzen. Anhand der Schöpfungsgeschichte im ersten Buch Moses zeigte sie, daß die verschiedenen Stufen der Schöpfung erstaunliche Parallelen zur Evolutionstheorie aufweisen.
Rachel Kaufmann schließlich befaßte sich mit Gentechnologie. Dabei zeigte sie auch den von der nichtjüdischen Genforschung zum Teil erheblich abweichenden Standpunkt der jüdischen Ethiker zu dieser aktuellen und brisanten Thematik.
Rabbiner Steven Langnas verabschiedete die angehenden Studenten: »Ihr seid nicht nur unsere Kinder, sondern diejenigen, die unsere Zukunft bauen werden.«
IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch zeigte sich stolz auf die jungen Menschen. Mit Blick auf die bayerische Schulordnung und das hier mögliche Abiturfach Jüdische Religion verwies sie darauf, daß man in anderen Bundesländern immer wieder überrascht sei, wie viel auch religiöses Wissen die jungen Frauen und Männer aus München haben.
Einen Wunsch hatte die Bauherrin des neuen Jüdischen Zentrums auch: Charlotte Knobloch bat die Abiturienten, jeweils ein Exemplar ihrer Facharbeiten für die neue Bibliothek der IKG zur Verfügung zu stellen.