von eva schweitzer
Mehrere antisemitisch motivierte Anschläge haben Seattle erschüttert, die größte Stadt im Staat Washington im Westen der USA. Und dies sind womöglich nur Vorboten, befürchten Sicherheitsexperten. Im Sommer überfiel der pakistanische Immigrant Naveed Haq das Haus der Jüdischen Föderation von Seattle, trat die Sicherheitstür ein und nahm ein Mädchen als Geisel. Dann rief er: »Ich bin Muslim«, und feuerte mit zwei halbautomatischen Handfeuerwaffen um sich. Haq traf sechs Menschen. Die 58jährige Pam Waechter starb. Der schwangeren Dayna Klein gelang es, den Notruf zu alarmiern und Haq ans Telefon zu holen. Der forderte: »Ich will, daß die Juden hier verschwinden. Ich habe es satt, daß meine Leute von eurer Mittelostpolitik herumgestoßen werden.« Dann ergab er sich der Polizei. Den Beamten erklärte er, er sei wütend über Israels Aktionen im Libanon und Palästina und über den Irakkrieg. Freunde Haqs glauben, er sei frustriert gewesen, keinen Job und keine Freundin zu haben.
Wenig später wurde eine Frau in Seattles Nachbarstadt Tacoma attackiert. weil sie eine israelische Flagge an ihrem Haus aufzog: Zwei Männer warfen ihre Fenster mit Steinen ein, sprühten mit einer brennbaren Flüssigkeit ein Kreuz auf ihren Rasen und steckten es an – eine klassische Ku-Klux-Klan-Taktik. Die beiden entkamen unerkannt.
Seattle ist eine liberale Großstadt, das San Francisco des Nordens. Microsoft und Starbucks haben hier ihre Firmensitze. Aber der Staat Washington ist auch eine Hochburg der »White Supremacists«, Rassisten, die sich in Organisationen wie den »Aryan Nations« (Arische Nationen), der »Volksfront«, oder dem »Christian Identity Movement« zusammentun. Die Anti-Defamation-League listet allein für 2006 sieben Demonstrationen oder Treffen von Neonazi-Organisationen in Washington auf.
Der Libanon-Krieg, der von den Juden Seattles mehrheitlich unterstützt wurde, hat auch die Risse zwischen Moslems und Juden vertieft. Auch gibt es Kontakte zwischen Arabern und Neonazis. So wurde 2005 der arabischstämmige Schlosser Ghassan Haddad aus Seattle verhaftet, der Waffen an Keith Gilbert verkauft hat. Gilbert war Mitglied der »Aryan Nations«, gründete dann später auch die »Nationalsozialistische Arische Volkspartei«.
Das FBI geht davon aus, daß es sich bei der Schießerei im jüdischen Gemeindehaus entweder um ein Verbrechen aus Haß oder um einen Terrorakt handelt. Schon 2003 vermutete das FBI ein Dutzend »Schläferzellen« der Hisbollah in den USA. Sicherheitsexperten befürchten sogar, daß Seattle nur der Auftakt zu weiteren antisemitischen Verbrechen gewesen sein könnte.
»Es gibt eine wachsende Gefahr für jüdische Institutionen in den USA«, meinte Steve Pomerantz, Ex-FBI-Mann und Chef der Anit-Terror-Abteilung beim Jewish Institute for National Security Affairs. Auch die Anti-Defamation-League warnt vor einem Anstieg antisemitischer Attacken, vor allem in New York, Detroit, Chicago und Miami. Jüdische Einrichtungen in den USA verstärken ihre Sicherheitsvorkehrungen, wofür das Heimatschutzministerium 25 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt hat.
Für die jüdische Gemeinschaft der USA – mit sechs bis acht Millionen größer als die Israels – ist Seattle ein Weckruf. »Jahrelang haben amerikanische Juden für Israels Anliegen gekämpft. Von weitem, in der Sicherheit unserer Staatsbürgerschaft, haben wir der Welt erklärt, daß Israel und wir eins sind. Nun nimmt man uns beim Wort«, schrieb die in New York erscheinende jüdische Zeitschrift Forward. Diese neue Gefahr bedeute aber auch, daß Israels Politik eben nicht mehr nur Israels Angelegenheit, sei. Deshalb müßten die US-jüdischen Organisationen an den Entscheidungen Israels beteiligt werden.